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Demokratie und Humanität - durch den Krieg erfuhr Europa, insbesondere Mitteleuropa, eine politische Neuordnung

Photo by Sabrina Mazzeo / Unsplash

Ich habe gezeigt, wie wir unseren Staat erneuert haben, auf Grund welchen Programmes und mittels welcher Taktik: nun wollen wir uns bewußt werden, wie wir den errungenen Staat erhalten. Wir waren selbständig, hatten aber unsere Selbständigkeit verloren – ein um so stärkerer Antrieb, uns in der neuen, durch den Frieden geschaffenen europäischen Situation gewissenhaft zu orientieren.

Soweit es sich um unser politisches Programm nach außen und nach innen handelt, wird man von mir keine detaillierte Darlegung der administrativen Aufgaben erwarten; meine Aufgabe ist, die Hauptgrundsätze zu entwickeln, nach denen unser erneuerter Staat meiner Überzeugung nach in seiner Politik geleitet werden muß. Praktisch haben sich diese Grundsätze bewährt, wie die Neuerrichtung des Staates beweist; unsere Politik muß eine Fortsetzung jener Politik sein, die wir vier Jahre im Auslande getrieben und durch die wir die Unabhängigkeit erobert haben. Das war auswärtige Politik, aber sie beruhte auf Grundsätzen, nach denen auch unsere innere Politik zu leiten ist. Diese Grundsätze will ich nun systematischer beleuchten, – schlagwortmäßig sind sie im Titel dieses Kapitels ausgesprochen.

Bei meiner Darlegung werde ich viele staatswissenschaftliche Probleme berühren müssen, doch will ich mich nicht auf weitgehende theoretische Betrachtungen einlassen, denn ich spreche hier nicht als Theoretiker, sondern als Praktiker; deshalb will ich mich mit einer kurzen Darlegung meiner Anschauungen begnügen, unter Umständen mit einfacher Feststellung. Die Theoretiker und Fachmänner werden auch so Standpunkt und Ansichten erkennen und keinen Mangel darin erblicken, daß ich dieses Buch nicht durch Quellen- und Literaturangaben erweitere. Ich betrachte diesen abschließenden Teil meines Berichtes über meine Auslandspolitik und meine Teilnahme am Weltkrieg und an der Weltrevolution nicht nur als Theorie meiner Tätigkeit, sondern auch als deren weitere organische Fortsetzung.

Der Krieg war ein Weltkrieg, nicht nur ein französisch-deutscher Konflikt (wegen Elsaß-Lothringens), auch nicht ein Kampf zwischen Deutschen und Russen oder Germanen und Slawen; alle diese und andere Fragen waren Teile eines großen Kampfes um Freiheit und Demokratie, eines Kampfes zwischen theokratischem Absolutismus und humanitärem Demokratismus. Darum beteiligte sich buchstäblich die ganze Welt am Kriege, und er wurde infolge seiner langen Dauer zur Weltrevolution.

Der Vergleich des Weltkrieges mit dem Dreißigjährigen Kriege ist leicht. Dies sowohl, was die Länge betrifft (der rasche moderne Verkehr und die technische Vervollkommnung des militärischen Apparates reduzierten dreißig und vielleicht mehr Jahre auf vier), als auch was den Charakter, Inhalt und Sinn betrifft: im Dreißigjährigen Krieg ging es um die Neuordnung Europas nach der religiösen Revolution, im vierjährigen Weltkrieg um die Neuordnung Europas und der Welt nach den politischen Revolutionen, – es war in hohem Maße die Fortsetzung des Dreißigjährigen Krieges.

Durch die Weltrevolution fielen drei mächtige theokratische Monarchien: Rußland – das rechtgläubige, Österreich-Ungarn – das katholische, Preußen-Deutschland, das lutherische. Wer hätte beim Beginn des Krieges, als der Konflikt vor allem wegen des Überfalls auf Serbien und Belgien ausbrach, vorausgesehen, daß diese drei Mächte, die Träger des mittelalterlichen Theokratismus und monarchischen Aristokratismus, fallen werden!

Vor dem Kriege lebten etwa 83 Prozent der Menschheit unter monarchischem Regime, nur 17 Prozent unter republikanischem: heute ist die überwiegende Mehrzahl der Menschheit republikanisch, die Minderzahl monarchisch. In Europa gab es vor dem Kriege nur eine große Republik (Frankreich), außerdem die Schweiz, Portugal, San Marino und Andorra: heute gibt es 18 Republiken, die zwei größten Staaten, Deutschland und Rußland (Rußland als Ganzes gerechnet), sind Republiken.

Eine gleich charakteristische politische Erscheinung wie die Entstehung der Republiken ist die Autonomisierung in den einzelnen Staaten: in England ist Irland selbständig geworden, in Rußland sind 21 Republiken und autonome Gebiete vereinigt. Daß in Deutschland mehrere kleine Staaten nach dem Kriege verschwunden sind, geschah aus administrativ-technischen Gründen; auch im neuen Österreich ist eine starke autonomistische und föderalistische Neigung zu bemerken.

Diese Tendenz zur Autonomisierung äußert sich eben im Zerfall der drei großen Monarchien in selbständige kleinere Staaten: der monarchische Absolutismus ist durch seinen Zentralismus unmöglich geworden; er entsprach einer älteren Zeit der wenig bevölkerten, aber großen, durch Okkupation und Expansion entstandenen Staaten. Die extensive Verwaltung dieser Staaten genügte nicht mehr und wurde darum durch die intensive Verwaltung der selbständigen Staaten ersetzt. Vor dem Kriege gab es in Europa 25, jetzt gibt es 35 Staaten.

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Durch den Krieg erfuhr Europa, insbesondere Mitteleuropa, eine politische Neuordnung. Neue (erneuerte) Staaten: 1. Finnland. – 2. Estland. – 3. Lettland. – 4. Litauen. – 5. Polen. – 6. Danzig. – 7. Tschechoslowakei. – Alte, aber veränderte Staaten: 8. Deutschland verlor nichtdeutsche Teile (ausgenommen die Lausitz). – 9. Frankreich erhielt Elsaß-Lothringen zurück. – 10. Belgien bekam einen kleinen Teil des Rheinlandes. – 11. Italien wurde um Teile des ehemaligen Österreich-Ungarn vermehrt. – 12. Bulgarien verlor Gebiete am Ägäischen Meere. – 13. Dänemark gewann von Deutschland dänisches Gebiet. – 14. Albanien. – Durchgreifendere Änderungen ereigneten sich in den folgenden Staaten: 15. Österreich. – 16. Ungarn. – 17. Jugoslawien. – 18. Rumänien. – 19. Griechenland. – 20. Türkei.

Die aus der staatlichen und zwischenstaatlichen Reorganisation Europas entstandenen Schwierigkeiten sind in Mitteleuropa und Rußland am größten; in diesem Teile der Welt ereigneten sich die radikalsten politischen Veränderungen. Die Ausdehnung Mitteleuropas wird ungleich bestimmt; mitunter rechnet man dazu ganz Deutschland und auch die Schweiz und Italien; wenn der Begriff Mitteleuropa nicht nur geographisch, sondern auch kulturell bestimmt wird, so gehören Westdeutschland mit der Schweiz und Italien zu Westeuropa. Auch Böhmen und (Deutsch-)Österreich gehören kulturell zum Westen. Kulturell scheiden sich Westen und Osten so, daß zum Osten das frühere Rußland, Galizien, Ungarn, Rumänien und der Balkan zählen.In Zusammenhang mit den Ergebnissen des Krieges entstehen Unruhen in Asien und Afrika. Im Westen liegen die alten, konsolidierten Staaten; dort handelt es sich um Vervollkommnung der Verwaltung und die Staatsform (Versuche mit der Republik); die territorialen und nationalen Probleme sind dort unbedeutend, wenigstens im Vergleich mit dem mittleren und östlichen Europa.

Im Europa nach dem Kriege und namentlich in der Zone der kleineren und kleinen Nationen, die sich vom Nord- bis zum Südkap hinzieht, also in der Zone zwischen dem früheren Deutschland und Rußland, entstanden neue kleine Staaten, die im Ganzen den diesen Bereich bewohnenden Nationalitäten entsprechen. Besonders Österreich-Ungarn zerfiel in die Staaten der Nationalitäten, die es gebildet hatten. Europa weist verhältnismäßig die meisten kleinen Staaten auf; Asien ist mehr politisch, als national aufgeteilt (Indien umfaßt geradezu so viele Nationalitäten wie Europa, aber sie leben in mehr als 700 Staaten und alle befinden sich unter englischer Verwaltung). Afrika ist politisch aufgeteilt, Amerika hat eine kleine Anzahl von Nationalitäten, Australien ist in Wirklichkeit englisch. Die Vielheit der nationalen Staaten in Europa entspricht der kulturellen Reife, der kulturellen Intensität, in die sich die praktische Extensität allmählich gewandelt hat. Europa hat die größte Anzahl selbständiger Staaten, nach ihm Amerika; Asien hat ihrer, obgleich es der größte Kontinent ist, wenige; noch weniger Afrika.

Den großen Nationen, namentlich den Engländern und Amerikanern, die geradezu an kontinentale Maßstäbe gewöhnt sind, bei denen Sprachenfragen keine Rolle spielen, erscheint die Befreiung der zahlreichen kleinen Nationen und die Entstehung kleinerer Staaten politisch und sprachlich als eine beschwerliche und unangenehme »Balkanisierung«. Aber die Verhältnisse sind, wie sie eben sind, durch Natur und Geschichte gegeben: durch hundertjährige Gewalt vereinfachten die Türkei, Österreich-Ungarn, Deutschland und Rußland halb Europa, aber eben durch Gewalt und mechanisch, also nur auf einige Zeit; durch Freiheit und Demokratie läßt sich die Balkanisierung abschaffen, und zwar noch besser.

Das Problem besteht darin, daß die großen Nationen, die bisher die kleinen und zugleich eine die andere bedroht haben, dem Grundsatz beitreten, daß alle Nationen, große und kleine, gleichberechtigte staatliche und kulturelle Individualitäten sind. Die Entwicklung der letzten Jahre verfolgte eine für die kleinen Nationen günstige Richtung. Gegen die deutsche Vorherrschaft in Europa erstand der Abwehrkrieg der ganzen Welt; die Alliierten proklamierten die Gleichberechtigung der kleinen Nationen und namentlich Präsident Wilson verfocht ihre Rechte unter dem Schlagwort der Selbstbestimmung der Nationen. Der Grundzug dieser Idee wurde in den Friedensverträgen kodifiziert.

Freilich ist damit zu rechnen, daß durch den Krieg und den Frieden die früheren Eifersüchteleien der Großmächte noch nicht aufgehört haben; zu alten Bitterkeiten kommen inzwischen neue hinzu, Bitterkeiten aus der Niederlage und der Nichterfüllung aller Wünsche und Pläne der Sieger. Aber trotz ihren Unzulänglichkeiten haben die Friedensverträge in ganz Europa gerechtere Verhältnisse geschaffen, als sie vor dem Kriege bestanden, und wir dürfen erwarten, daß die Spannung zwischen den Staaten und Nationen nachläßt.

Die Lehre aus dem Krieg wird hoffentlich den Frieden über alle Gegensätze hinweg festigen; die Mängel der Neuordnung in Europa lassen sich von Fall zu Fall friedlich beseitigen. Allen Schwierigkeiten zum Trotz kann man sagen, daß sich bereits die Anfänge einer freien Föderalisierung Europas an Stelle der absolutistischen Beherrschung des Weltteiles durch eine Großmacht oder durch Bündnisse der sich gegenseitig bekämpfenden Großmächte abzeichnen. In solch einem neuen Europa kann die Selbständigkeit auch den kleinsten nationalen Individualitäten verbürgt werden. In dieser Hinsicht ist der Völkerbund und sein Wirken bereits heute ein lehrreiches Analogon zum möglichen einheitlichen Europa.

Oft und lange vor dem Kriege wurden Zweifel geäußert, ob unsere Nation und überhaupt eine kleine Nation selbständig sein könne. Aus diesen Zweifeln entsprang Palackýs bekanntes Wort von der Notwendigkeit Österreichs als Föderation der Nationalitäten. Ich richte mich gerne nach Palacký und habe mir deshalb stets die Schwierigkeiten und besonderen Probleme der kleinen Nation zu Bewußtsein gebracht, doch glaubte ich an die Möglichkeit unserer Selbständigkeit. Ich habe dies in meinen tschechischen Studien ausgesprochen, und aus diesem Glauben wurde meine ganze Politik und politische Taktik geboren; in diesem Glauben entschloß ich mich im Weltkrieg zum Kampfe gegen Österreich-Ungarn. Ich hielt unsere Selbständigkeit für möglich, wenn wir, wie Havlíček es gefordert hat, sittlich wohlbehalten und zur Verteidigung unserer Freiheit stets bereit sein werden, wenn wir genug politische Erkenntnis zu einer vernünftigen und ehrlichen Politik nach innen und außen haben, wenn wir in Europa Sympathien gewinnen und schließlich, wenn in Europa die Demokratie gestärkt wird: bei allgemeiner Demokratie ist die Unterdrückung einer Nation durch die andere nicht möglich; die demokratische Freiheit ermöglicht auch den kleinen Nationen die Selbständigkeit. Das beweist die Geschichte Europas seit dem 18. Jahrhundert: seit der Großen Revolution befreien sich mit der zunehmenden Freiheit und Demokratie die kleinen und unterdrückten Völker eines nach dem andern. Der Weltkrieg ist der Gipfel dieser Freiheitsbewegung gewesen: durch den Weltkrieg und die durch ihn ausgelösten Revolutionen sind drei Zarenreiche gefallen, die eine Reihe von Nationen unterdrückt hatten: jetzt ist die Möglichkeit eines demokratischen Europa und damit der Freiheit und Unabhängigkeit aller Nationen gegeben.

Eine eingehendere Analyse dieses geschichtlichen Prozesses habe ich in meinem ersten Londoner Vortrag geboten; dieser enthält im Kern das politische Programm, wie ich es dann im »Neuen Europa« und in diesem Buche entwickelt habe.

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Es wäre natürlich, wenn die kleinen Nationen sich einander nähern und vielleicht sogar verbünden würden: doch kommt solch eine Verbündung nicht immer der Einheitlichkeit und Zentralisiertheit großer Nachbarnationen gleich. Die Bündnisse von Nationen oder Staaten pflegen verschiedene Ursachen und Gründe zu haben; sie sind bedingt durch die geographische Lage (die Nachbarschaft), die Konfiguration des Bodens (z. B. hie und da die Ebene), die gegenseitige Ergänzung durch Natur- und wirtschaftliche Produkte, die gemeinsame Gefahr, politische Freundschaft u. a. Die Geschichte bietet uns viele, mannigfaltige Beispiele von Bündnissen und Zusammenschlüssen dar; es gibt zeitlich beschränkte und beständige Ententen und allerlei Formen von Föderation und Einheit. In älterer Zeit war gewaltsame Unterwerfung und Einigung ein mächtiger Faktor.

Man kann nicht erwarten, daß sich die kleinen Nationen insgesamt verbünden; ihre Interessen sind zu verschieden. Nach der obwaltenden Lage läßt sich inzwischen erwarten, daß manche Gruppen der kleinen Nationen wie z. B. die Kleine Entente dauerhaft werden. Neben der Kleinen Entente verhandeln, wie man bereits beobachten kann, die nördlichen Staaten über gemeinsame Interessen – die Finnländer, Esten, Letten, Littauer und auch die Polen. Man kann sehen, daß die kleinen Nationen beginnen, sich ihrer gemeinsamen Interessen bewußt zu werden; auf dieser Grundlage werden die vorausschauenden Politiker an der weiteren Annäherung arbeiten, und zwischen ihnen und ihren Staaten wird wenigstens ein tacitus consensus zustande kommen. Auf jeden Fall lohnt es, in Erwägung zu ziehen, daß die Zone der kleinen Nationen weit über 100 Millionen Einwohner zählt, – allerdings nur, wenn die Polen sich zu den Kleinen melden wollen. Geographisch zieht sich diese Zone vom Norden bis zum Süden durch ganz Europa: schon dadurch stellen sich einer Verbündung große Schwierigkeiten entgegen. Z. B. die Finnländer und die Griechen werden kaum sofort die Gemeinsamkeit ihrer Interessen einsehen.

Ich habe über den Versuch einer Mitteleuropäischen Union berichtet, in der sich die Repräsentanten der kleinen Nationen im Auslande zusammenfanden. Ein paar Repräsentanten sind freilich etwas anderes als ihre Nationen, doch ist auch so der Versuch interessant und bemerkenswert gewesen.

Sehr oft wurde auf Österreich-Ungarn als eine angeblich natürliche Föderation kleiner Völker hingewiesen; die Türkengefahr soll Tschechen, Österreicher und Magyaren einander genähert haben. Auch pflegt man von einer Donauföderation so zu sprechen, als sei die Donau ein natürliches Band zwischen den Donauvölkern und den Ländern mit den Nebenflüssen der Donau. Österreichische Historiker und Geographen haben Bücher und Artikel darüber verfaßt, daß die Geographie die österreichischen Länder verbunden habe, das Gleiche schrieben aber ungarische über Ungarn.

Aber unsere Historiker haben darauf aufmerksam gemacht, daß der Antrieb zur Schaffung Österreichs auch von unseren Přemysliden-Königen ausging (vor der Türkengefahr). Diese ging vorüber; und was die Erdbeschaffenheit betrifft, so ist unsere Republik orographisch und geographisch ein organischeres Ganzes als das ehemalige Ungarn und Österreich. Gewiß kein weniger organisches! Übrigens entscheidet da heute nicht die Geographie; infolge der modernen Technik haben die natürlichen Grenzen, wenn es nicht himmelstürmende Berge, größte Ströme oder Meere und Wüsten sind, ihre frühere Wichtigkeit eingebüßt. Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, das Schutzbedürfnis, verschiedene Kulturfaktoren sind mächtiger geworden; die Natur bringt den Menschen auf vieles, spornt ihn an, aber der Mensch entscheidet über sich selbst, die von ihm empfundenen Bedürfnisse entscheiden.

Den Zerfall Österreich-Ungarns muß man in gleicher Weise erklären wie seine Entstehung; wenn Historiker uns auseinandersetzen, auf wie natürliche Weise Österreich-Ungarn entstanden, müssen sie auch erklären, auf wie natürliche Weise es zerfallen ist: die Türkengefahr gab den Habsburgern kein Recht zur absolutistischen Unterdrückung der Nationalitäten, besonders der unseren. Die befreiten Nationalitäten wollen in ihren eigenen Staaten durch intensives Streben die Mängel beseitigen, die durch den extensiven Absolutismus verursacht worden sind; daher kann man nicht davon reden, das sei eine mehr oder weniger gewaltsam erzwungene Unifikation und Zentralisation in anderer politischer Form. Die gesellschaftlichen und historischen Kräfte, die zur Organisation Österreich-Ungarns und zu seinem Zerfall geführt haben, werden auch weiter wirksam sein; die, welche als fruchtbar und gesund erkannt werden, können bewußt zur Geltung gebracht werden. Es ist möglich und wünschenswert, daß zwischen den aus Österreich hervorgegangenen Staaten lebhafte wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen bestehen; darum ist vor allem die Erleichterung des Personen- und Güterverkehrs eine vernünftige und zeitgemäße Forderung.

Die Entwicklung zeigt bereits einige Jahre, daß die Überwindung der Kriegserregung und Feindschaft Fortschritte macht; nicht nur die Völker, die einander schon im alten Österreich politisch näherkamen, nähern sich wieder einander, sondern es entstehen auch zwischen den in Österreich-Ungarn auseinanderstrebenden Nationalitäten bereits verheißungsvolle Beziehungen. Wir haben schon einen Handelsvertrag mit Österreich, denn die gemeinsamen (wirtschaftlichen), aus der früheren Verbindung ererbten Interessen, die Tatsache, daß wir in Österreich eine große Anzahl unserer Staatsangehörigen haben usw. erfordern ein freundschaftliches Verhältnis. Wirklich sind bis heute vier Nachfolgestaaten einander nähergekommen: die Tschechoslowakei – Jugoslawien – Rumänien – Österreich.

Unsere lange vor dem Kriege begonnene und durch die Kleine Entente befestigte Freundschaft mit den Südslawen entspricht dem gegenseitigen Bedürfnis; wir sind auf den Osten und Süden, auf das Meer angewiesen. Das neue Österreich hat für uns und für die Südslawen Bedeutung als Transitstaat.

Dadurch deuten sich weitere Möglichkeiten an. Zunächst was die Südslawen betrifft. Ich habe von meiner südslawischen Politik vor dem Kriege und während des Krieges genug gesprochen. Den Südslawen fallen jetzt nach dem Kriege viele und interessante Aufgaben zu, und eine der wichtigsten wird die Rolle sein, die sie am Balkan zu spielen verstehen. Gewiß haben sie geographisch und historisch eine große Bedeutung für die Neuordnung am Balkan; sie sind dort die größte Nation, und schon dadurch kann die Neuordnung und insbesondere die Liquidierung der türkischen Herrschaft in Europa nicht ohne sie geschehen.

Schon vor dem Kriege wurde verschiedentlich eine Balkanföderation versucht; und man spricht wieder von einem Bündnis der Südslawen mit den Bulgaren. Dies wurde bereits vor dem Kriege nicht allein erörtert, sondern, wenn man sich des bekannten Versuches um die Verbrüderung der serbischen und bulgarischen Intelligenz erinnert, sozusagen auch eingeleitet. Zwischen Serben und Bulgaren entstanden erbitterte Gegensätze, doch gibt es keinen Grund, sie fortzusetzen; Jugoslawien umfaßt heute auch Kroaten und Slowenen, und diese könnten auf Serben und Bulgaren einen mäßigenden Einfluß ausüben, denn sie waren an diesen Gegensätzen nicht beteiligt. Eine Föderation der Südslawen und Bulgaren würde etwa 17 Millionen Einwohner bedeuten, die sich in wenigen Jahrzehnten verdoppeln können. Das Problem von Konstantinopel und seine Lösung wird den Südslawen (vorläufig nomen omen) gewiß Gegenstand des Nachdenkens und Handelns sein; die Möglichkeit großer Politik könnte auch die unvernünftigen serbisch-kroatischen Zwistigkeiten mildern.

Ich vergesse die Griechen und ihr kulturelles Verhältnis zu Konstantinopel und zu den Serben und Bulgaren nicht; ebenso beachte ich das Streben Italiens nach dem Balkan und Kleinasien. Und schließlich weiß ich, daß Konstantinopel die Großmächte interessiert hat und noch interessiert, wenn auch in geringerem Maße als früher.

Ich spreche da selbstverständlich von unserem Gesichtspunkt aus, und dieser ist durch unsere Stellung im Herzen Europas bestimmt: die Kompliziertheit der aus dieser Stellung entspringenden Verhältnisse legt uns Rücksichten nach allen Seiten hin auf, wirklich auf die ganze Welt, und daher wiederhole ich, was ich längst vor dem Kriege gesagt habe, daß wir Weltpolitik treiben müssen. Wenn Bismarck gemeint hat, Herr Europas sei, wer Böhmen beherrsche, so hat er von seinem imperialistischen und pangermanischen Standpunkt aus die Stellung unserer Nation und unseres Staates inmitten des Kontinents erfaßt; wir brauchen nicht Herren Europas zu sein, uns genügt es, unsere eigenen Herren zu sein, doch so viel können wir uns von Bismarcks Einsicht aneignen, daß der Osten auch für uns von großer Bedeutung ist, gerade angesichts des preußisch-deutschen Dranges nach Osten, und daß wir daher die Neuordnung am Balkan auf Grund des natürlichen ethnographischen Bestandes und der kulturhistorischen Entwicklung wünschen: in beider Hinsicht könnten die Balkanslawen am Balkan die entscheidende Stellung haben.

Wir haben mit dem neuen Österreich auch aus diesem Grunde ein starkes gemeinsames Interesse; das verminderte Österreich gewinnt seine ursprüngliche Bedeutung als »Ost-Reich« wieder. Ich setze voraus, daß es sich neben Deutschland selbständig erhält. Das ist nicht nur politisch, sondern auch kulturell zu wünschen: ich teile die Anschauung österreichischer Politiker und Kulturarbeiter, die die Eigenart des österreichischen Deutschtums betonen, seine Erhaltung neben dem Deutschtum und gegen das Deutschtum Deutschlands, namentlich gegen das Preußentum, verteidigen. Seine tausendjährige selbständige Dauer spricht für die Selbständigkeit unter den neuen Umständen. Darum kann und muß unsere Politik zu Österreich, zumal zum republikanischen, ganz freundschaftlich sein. Mit anderen Worten: wir müssen über die »Idee« Österreichs auch bei der neuen Situation ernstlich nachdenken und die Gedanken Palackýs fortsetzen. Gewiß erfordert die Entwicklung des neuen Österreich unser Wachsein und politische Reife.

In Österreich-Ungarn lebten wir auch mit den Polen, Kleinrussen, Rumänen und Magyaren. Zu den Polen unterhielten wir schon damals freundschaftliche politische und kulturelle Beziehungen, ebenso zu den Kleinrussen und den Rumänen; mit den letzteren gingen in Ungarn auch die Slowaken zusammen. Jetzt sind alle, und auch die Magyaren, unsere Nachbarn, und es ist natürlich, daß wir zu allen freundschaftliche Beziehungen wünschen. Das Verhältnis zu den Kleinrussen ist durch die Angliederung Karpathorußlands und die kleinrussische Minderheit in der Slowakei für uns wichtig. Infolge der Nachbarschaft Deutschlands und Rußlands sind Polen und Rumänen – Ungarn infolge der Nachbarschaft Österreichs – von besonderer Wichtigkeit für uns; daraus ergibt sich ein neuer Grund für freundschaftliche Politik.

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Das Haupthindernis unserer Selbständigkeit haben Palacký und andere unserer Politiker in unserer zahlenmäßigen Schwäche bei der Nachbarschaft der Deutschen erblickt; wir sind 9-10 Millionen, die Deutschen mehr als 70 (in Deutschland allein 60 Millionen). Die Deutschen sind nach den Russen die volkreichste Nation in Europa; als unsere Nachbarn umringen sie uns von drei Seiten; wir haben ihrer selbst drei Millionen in unserem Staate, und sie leben auch in beträchtlicher Anzahl in den anderen Staaten.

Die Deutschen drängten in alten Zeiten nach Osten und Südosten (Berlin–Bagdad: Treitschke sieht die Mission der Deutschen in der Kolonisierung des Ostens); man kann nicht erwarten, daß diese Jahrhunderte alte Tradition und Taktik sich durch ein Diktat erledigen läßt; und darum müssen wir mit diesem deutschen Druck beständig rechnen. Unsere Historiker und selbst Palacký meinen, der Hauptinhalt unserer Geschichte sei die »fortwährende Berührung und Befehdung des Slawentums mit dem Römertum und dem Deutschtum«, die »Überwindung und Verdauung des Fremdwesens«; die Situation werde noch durch die Nachbarschaft der Magyaren erschwert, wenn diese deutsch orientiert bleiben. Ich stimme darin mit Palacký überein, nur würde ich mehr hervorheben, daß wir als Nation unsere positive und nicht so sehr die negative Aufgabe (den Kampf mit den Deutschen) hatten und noch haben; durch den Fortschritt der Kultur und die Stärkung der Demokratie wird diese positive Aufgabe immer wichtiger werden.

Dadurch, daß Österreich nicht an Deutschland angegliedert wurde, ist der deutsche Druck etwas schwächer; aber es erscheint nicht sicher, daß die Frage des Nachkriegs-Österreich schon endgültig gelöst ist – der vorausschauende und vorsichtige Politiker muß mit allen Möglichkeiten rechnen und darf den unangenehmen Möglichkeiten nicht ausweichen.

Das Verhältnis zu den Deutschen in Deutschland, im Reiche, ist für uns das ernsteste Problem. Unser Bestreben muß sein, es korrekt und mit der Zeit auch freundschaftlich zu regeln: die Deutschen haben keinen Grund zur Feindschaft. Ihren Drang nach Osten können und müssen sie in friedlichen Wettbewerb umwandeln; auch wir sind, wie alle Nationen in Europa, nach Osten und Süden gewendet, – ich habe auf diese allgemeine Neigung aller Nationen im Westen und Norden hingewiesen. Deutschland hat durch den Krieg – gewonnen; es ist Republik geworden, ist national geschlossener und kann infolgedessen die Ziele demokratischer, friedliebender Politik verfolgen.

Selbstverständlich setzt ein gutes Verhältnis zu Deutschland eine vernünftige politische Organisation der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit mit unseren Deutschen voraus.

Bei allem Optimismus wollen wir uns die Schwierigkeiten nicht verhehlen, die sich aus unserer Stellung in Europa und in der Geschichte ergeben. Mir scheint, daß viele von uns sich dieser Schwierigkeiten erst jetzt, da wir unseren Staat haben, voller bewußt werden; in Wirklichkeit sind sie nichts Neues, wir mußten auf sie vorbereitet sein. Ich war mir der Schwierigkeiten stets voll bewußt, auch als ich mich entschloß, für unsere Befreiung und Selbständigkeit zu arbeiten und zu kämpfen. Unsere Zukunft wird, wie das Schicksal aller Nationen, durch die natürlichen und geschichtlichen Realitäten entschieden werden, keineswegs durch die phantastischen Pläne und Wünsche urteilsloser Politiker, und daher ist es die Aufgabe der gebildeten Politiker, die Aufgabe der Staatsmänner, sich unserer Lage klar bewußt zu werden und unserer und der Nachbarn Entwicklung stets wachsam zu folgen und danach vorzugehen.

Wir können uns sagen, daß wir in der Reihe der Nationen in Europa nicht die kleinste sind (wir stehen an Bevölkerung an 9. Stelle, nach uns kommen noch 23 kleinere Nationen), aber auf jeden Fall nötigt uns unsere Stellung in der Mitte Europas und unsere zahlenmäßige Schwäche zu einer wachsamen und vorsichtigen Politik; nicht einer schlauen, – die Zeiten der politischen Schlaumeierei sind dahin und haben niemals einen wirklichen Nutzen gebracht.

Wir können uns an der Erkenntnis stärken, daß wir uns gegen den Druck unserer expansiven Nachbarn erhalten haben; das ist ein kräftiges Argument. Wir dürfen uns damit trösten, im verhängnisvollen Augenblick Verbündete und Beschützer gefunden und in der schweren Lage verstanden zu haben, die verlorengegangene Selbständigkeit zu erneuern. Daß wir unsere Selbständigkeit früher, bei einer im Wesen gleichen Weltsituation, verloren hatten, ähnlich wie unsere slawischen Nachbarn, die Polen, zwingt uns, die politische Umsicht und Voraussicht zu erhöhen. Vergessen wir nicht, daß die Slawen zu Beginn des Mittelalters sich bis zur Saale und zur nördlichen Elbe ausdehnten; allerdings haben wir heute auch vom Schicksal der Elbslawen eine klarere und richtigere Anschauung als Kollár und seine Zeitgenossen.

Wir müssen unsere Kräfte kennen und realistisch abschätzen; wir können und müssen uns ein Beispiel nicht nur an den kleinen, sondern auch den großen Nationen nehmen, dürfen aber unsere Vorbilder nicht gedankenlos nachahmen, sondern unser durchdachtes Programm haben und ihm konsequent und entschlossen folgen. Wir müssen beständig an der Steigerung unserer inneren Kraft arbeiten – wie das Havlíček formuliert hat –, dann können wir uns ruhig sagen: Wir ließen uns nicht unterkriegen und lassen uns durch niemand und niemals unterkriegen! Ich denke immer an das kleine Dänemark, wie es sich im Jahre 1864 mannhaft und ehrenhaft durch zwei Riesen, Preußen und Österreich, nicht einschüchtern ließ, auch als es eine Niederlage gewärtigen mußte; im Weltkrieg wurde an Dänemark zurückerstattet, was es zu Unrecht verloren hatte. Und diese Wiedergutmachung geschah, ohne daß Dänemark sich am Kampfe beteiligt hat.

Im Verhältnis zu Deutschland fallen nicht bloß die Kräfte und Werte der Macht, sondern auch die der Kultur in die Wagschale; von Anbeginn unserer Entwicklung hat Deutschland auf unsere Kultur eingewirkt – in der Kirche, Wirtschaft, Literatur und Kunst –, deshalb ist die Frage unserer Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Deutschland nicht nur eine politische, sondern auch eine kulturelle Frage, und das in des Wortes weitestem Sinne.

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Unsere politische Selbständigkeit verdanken wir hauptsächlich Frankreich, England, Amerika, Italien – dem Westen.

Seit Beginn unserer Entwicklung in Europa waren wir politisch und kulturell nicht allein mit Deutschland, sondern auch mit Frankreich, Italien und England verbunden; zum byzantinischen und russischen Osten waren unsere Beziehungen in älterer Zeit schwach, episodisch. Die Verbindung mit Deutschland war so innig, daß unsere Könige eine Zeitlang an der Spitze des römischen Reiches standen.

Die Einflüsse der übrigen westlichen Nationen waren schwächer als die deutschen. In älterer Zeit sind bei uns bereits Einflüsse der französischen und italienischen Bildung, vor allem der Kunst, wahrnehmbar. Nach westlichem Vorbild errichtete Karl in Prag die Universität. Durch die Reformation stellte das ganze Volk sich auf die Grundlagen der westlichen Kultur, wie wir daran sehen, daß der ganze Westen die von Hus gewiesene Richtung einschlug; daß Hus starke Anregungen aus England empfing, ist ein weiterer Beweis meiner These. Durch unsere Reformation richteten wir Ideale auf, die der Westen durch seine Reformation und Revolution verwirklicht hat; Palacký bemerkt richtig, daß sich in unserer Reformation all die Ideen und Richtungen im Keime zeigten, die sich später im Westen entfaltet haben. Comenius war geistig mit dem Westen verbunden, und auch auf ihn war der englische Einfluß gut.

Unter österreichischer Herrschaft unterlagen wir einseitig dem deutschen Einfluß, aber die englischen und französischen Einflüsse waren gerade, weil sie uns nicht aufgezwungen, sondern von uns aufgesucht wurden, fruchtbar. Die Sympathien für Frankreich, die Ideen der französischen Revolution waren uns in der Zeit der sogenannten Wiedergeburt eine mächtige kulturelle und politische Stütze; ganz natürlich, geradezu logisch stellten wir uns im Weltkrieg gegen unsere Unterdrücker an die Seite Frankreichs und überhaupt der Alliierten.

Mit uns standen alle slawischen Nationen auf alliierter Seite – mit Ausnahme der Bulgaren; ein Teil der Polen verhielt sich eine Zeit lang schwankend. Von Österreich-Ungarn und Deutschland wurden nicht allein wir, sondern die Südslawen, Polen und Ruthenen unterdrückt; allerdings waren auch die Russen und die (außerösterreichischen) Serben gegen die Zentralmächte. Und ebenso wie wir tendieren die anderen slawischen Nationen zum Westen, namentlich zu Frankreich, auch kulturell; darüber bietet die Kulturgeschichte der Polen und der Russen genügende Belehrung. Auf die südlichen Slawen wirkten auch italienische und griechische Einflüsse.

Bis zu welchem Maße das politische und kulturelle Verhältnis der Slawen durch die geographische Lage und den politischen Druck der Deutschen und Magyaren entschieden wird und bis zu welchem Maße vielleicht durch die Sympathien, die der Verwandtschaft oder Ähnlichkeit der Charaktere entspringen, kann ich hier nicht untersuchen; das ist eine verwickelte Frage der kulturellen Wechselbeziehung und der kulturellen Entwicklung überhaupt. Hier handelt es sich um unsere politische Orientierung in Europa.

Von den Zentralmächten stieß uns in erster Reihe das habsburgische Österreich-Ungarn ab; es hat die gewaltsame Gegenreformation durchgeführt, den politischen Vertrag mit unserem Volke gebrochen, seine Unabhängigkeit immer mehr eingeschränkt und ist nach der Großen Revolution der Hauptinspirator des alten Regimes geworden. Von Lenkern des römischen Reiches sanken die Habsburger zur Avantgarde des pangermanischen Vormarsches nach Osten herab. Die Habsburger germanisierten mit Gewalt unser Volk. Mit den Habsburgern gingen die Hohenzollern, und schon dadurch war unsere politische Stellung auch zu Deutschland bestimmt; freilich auch durch den deutschen Druck auf die Slawen überhaupt. Im Weltkriege konnte unser Volk daher nirgendwo anders stehen als an der Seite der westlichen Nationen und ihrer Verbündeten.

Unser Verhältnis zu Frankreich, England, Amerika und Italien, denen wir die Erneuerung unserer Selbständigkeit verdanken, bedeutet nicht, daß wir in unserer Politik, namentlich gegenüber Deutschland, nicht selbständig sind. Das schmerzhafte Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland wird sich bessern; Elsaß-Lothringen ist und war nicht der Haupt- und eigentliche Grund des Konfliktes, wie vor dem Kriege die Pangermanen selbst äußerten, als sie stets nach dem Osten wiesen und schwankten, ob der eigentliche Gegner Deutschlands England oder Rußland sei. Im einen und andern Falle hefteten sich ihre Blicke auf Asien und Afrika.

In unserem Interesse liegt der Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland nicht; im Gegenteil, wir werden gern nach unseren Kräften dazu beitragen, daß sich die beiden Nationen einigen.

Mr. Temperley stellt in der erwähnten Geschichte des Friedens mit einer gewissen Genugtuung fest, daß Deutschland sich gegen uns nicht so feindselig verhalten habe wie zu manchen anderen Nationen. Dr. Rašín und Dr. Soukup erzählen in ihrem Bericht über den Umsturz vom deutschen Generalkonsul in Prag, wie er sofort (2. November) mitgeteilt habe, das Deutsche Reich erkenne den tschechoslowakischen Staat an und denke nicht an unsere deutschen Gebiete. Aus der Geschichte unserer Armee in Rußland kann ich die Tatsache anführen, daß unsere Jungen ganz andere Gefühle gegen die Deutschen als gegen die Österreicher und die Magyaren hegten; wir standen im Kampfe, empfanden aber eine gewisse gegenseitige Achtung, wie das Abkommen bei Bachmač und andere kleinere Zwischenfälle beweisen. Das ist begreiflich, – die Unterdrückung durch Österreich-Ungarn war unmittelbarer, persönlicher. Deshalb kann unser politisches Verhältnis zum neuen republikanischen und demokratischen Deutschland ein anderes sein als zum alten Österreich-Ungarn und Preußen.

Soweit es sich um unser Verhältnis zu den Deutschen in neuerer Zeit handelt, darf ich mich selbst anführen, da ich dieses Verhältnis bewußt und kritisch erlebt habe. Ich habe schon vor dem Kriege für unsere politische Selbständigkeit gearbeitet; aber ich bin gegen die Deutschen nicht feindselig aufgetreten, nicht einmal gegen die Deutschen in Österreich. Seit Beginn des Krieges und schon vor dem Kriege stellte ich mich entschieden gegen den österreichischen Habsburgismus und das preußische Deutschland; als der Kampf ausbrach, ging ich offen zu den Alliierten, aber während seiner ganzen Dauer und in der ganzen Kampfpropaganda habe ich mit keinem Wort die Deutschen noch die Österreicher als Nation beleidigt. Ich habe gute Kenntnis davon und sichere Zeugenschaft, daß diese meine Haltung auch in offiziellen Kreisen Deutschlands anerkannt und respektiert wurde. Allerdings weiß ich, daß manche Kreise in Deutschland ebenso wie die österreichischen militärischen Organe schon vor dem Kriege daran gedacht haben, meine Parteigänger gewaltsam zu unterdrücken und vor allem mich zu verhaften, weil ich ihnen gefährlich schien; das übte jedoch keinen Einfluß auf meine Politik aus.

Geistig wurzele ich durch meine ganze Entwicklung in antiker, französischer, englischer, amerikanischer und russischer, nicht nur deutscher Kultur. Ich glaube, daß meine persönliche Entwicklung unserer nationalen Kulturentwicklung entspricht, es sei denn, daß ich durch die russische Kultur tiefer hindurchgegangen bin und die antiken und westlichen Literaturen vollständiger und systematischer erlebt habe als die Mehrzahl unserer Leute. Die deutsche Literatur, Philosophie und Kultur hat mir nicht genügt; ich habe darum Bildung in den westlichen Kulturen gesucht, – nicht aus politischer Voreingenommenheit, sondern aus dem kritischen Vergleich der deutschen mit den anderen Kulturen und dem Streben nach kultureller Selbständigkeit und Synthese. Ich will darüber noch mehr sagen, indessen bemerke ich nur, daß kulturelle Sympathien und Wechselbeziehungen der Politik nicht hinderlich zu sein brauchen und umgekehrt; wir werten die Kulturen sachlich, nicht nur politisch, und die Wechselbeziehung der Nationen wird nicht nur politisch, sondern auch kulturell bestimmt.

118.

Zum Osten waren unsere Beziehungen viel bescheidener als Zum Westen.

Unser Verhältnis zum byzantinischen Reich und zur Bildung in der ältesten Zeit ist bisher ungenügend aufgeklärt; wir wissen jedoch, daß nach der kurzen byzantischen Periode die Beziehungen zum Westen entscheidend für die ganze weitere Entwicklung wurden. Politische Beziehungen pflegten wir zu den Polen und den Magyaren, zu den Polen schon in älterer Zeit auch kulturelle. Zu den Russen und Südslawen gewannen wir nennenswertere kulturelle Beziehungen erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts.

Österreich veranlaßte infolge seiner einseitigen deutschen und später auch magyarischen Politik seine slawischen Völker selbst zu Wechselbeziehungen; ganz natürlich entstand, wie Havlíček es genannt hat, ein kleiner Panslawismus; aber es gab eben auch einen großen Panslawismus (der mit Rußland, Serbien, Montenegro, Bulgarien rechnete). In der absolutistischen Zeit konnte sich der Panslawismus politisch nicht äußern; aber er demonstrierte in größerem Stil für die Freiheiten des Revolutionsjahres 1848 auf dem Slawischen Kongreß in Prag; nach der nachrevolutionären Reaktion brachte das Wiener Parlament die slawischen Völker in Österreich einander politisch näher.

Die Verwandtschaft der Sprache und der Nationalität bot den Slawen ganz natürlich eine kulturelle Wechselbeziehung; diese Verwandtschaft ist tiefer und intimer als z. B. die der romanischen und germanischen Sprachen, und daher hat der Panslawismus in nationaler und sprachlicher Hinsicht eine natürlichere Grundlage als der Panlatinismus oder der Pangermanismus (vom nationalen und sprachlichen Standpunkt aus betrachtet). Kollár, Herders Schüler, hat das Programm der slawischen Wechselbeziehung im Sinne reiner Menschlichkeit und Aufklärung formuliert: Slawe und Mensch seien identisch, und die slawischen politischen Ideale waren ihm die Ideale der reinen Demokratie, die man gewöhnlich in mehr oder weniger mythische Urzeiten und in einzelne slawische Nationen verlegte (»das taubensanfte Volk« u. ähnl.). Kollár erwartete, die besondere und höhere slawische Kultur werde auch die westlichen Nationen erlösen: die Slawen würden die Führung der Völker und der Menschheit übernehmen und an die Stelle der westlichen Nationen treten, die schon von der historischen Szene abtreten, in Dekadenz fallen. Ähnlich wie Kollár bei uns, verkündigten zur selben Zeit in Rußland die Slawjanophilen den Messianismus, und auch die Polen taten es – die slawische, russische, polnische Kultur werde nicht bloß die Slawen, sondern auch die übrigen Nationen und die ganze Menschheit erlösen. Die tschechische Kultur ist auf die Reformation und die Aufklärung gegründet; ähnlich gehen die südslawischen Messianisten von der Aufklärung aus; die russische Kultur baut sich auf der Rechtgläubigkeit auf, die polnische auf dem Katholizismus.

Alle diese Theorien wurden von ihren Hauptvertretern unpolitisch formuliert – sie waren ein Programm der kulturellen und geistigen Wechselbeziehung, kein politischer Panslawismus; in späterer Zeit wurde, keineswegs ohne Einfluß der deutschen Pangermanisten, dieser ursprünglich kulturelle Panslawismus bei manchen Geschichtsphilosophen und Politikern auch politisch.

Der slawische Messianismus ist wissenschaftlich unhaltbar, wie auch die pangermanischen und anderen messianistischen Sehnsüchte unhaltbar sind. Ich war gegen diese ob nun philosophischen oder politischen Theorien immer skeptisch, betrachtete nicht unkritisch den slawischen Messianismus, so wie ich die westlichen Kulturen nicht unkritisch und einseitig anerkannte. Vom Niedergang des Westens zu reden, wie es die slawischen und die deutschen Messianisten taten, ist unberechtigt; ich lehne auch die Theorie vom Niedergang der Deutschen ab (und in ähnlicher Weise die Kulturphilosophie Spenglers). Die tiefere Erkenntnis der Kultur aller Nationen, die philosophische Kritik ihrer kulturellen Entwicklung weist uns auf die Kultursynthese hin, auf die Wechselbeziehung nicht nur der slawischen, sondern aller Nationen. Daher antworte ich auf das alte Programm: »Ex oriente lux?« damit: »Ja, aber auch ex occidente!« Unsere ganze Geschichte und unsere geographische Lage fordern zu dieser Synthese heraus.

In Wirklichkeit wird die Synthese bereits bei allen Nationen vollzogen. Es braucht nicht bewiesen zu werden, wie die Philosophie und die Wissenschaft aller und von allen gepflegt wird, wie auf diesem Gebiete sich die einzelnen Nationen ergänzen und gegenseitig aneinander anknüpfen; ich brauche auch nicht zu zeigen, wie sich alle Nationen die Ergebnisse der gemeinsamen technischen und überhaupt äußeren Zivilisation aneignen. Soweit es sich um die schöne Literatur und die Kunst handelt, wissen wir, daß die Slawen längst und stets die westliche Literatur sehnsüchtig aufnehmen; andererseits wurde die russische Literatur vom Westen gern gelesen und wird in letzter Zeit überall fast gierig begehrt. Der bekannte Romanschriftsteller Paul Adam sagte schon vor Jahren: »Il faut que l'Empire d'Orient et celui d'Occident s'épousent« – und Paul Adam war französischer und romanischer Messianist.

Ich habe darauf hingewiesen, wie in den westlichen Literaturen, in Frankreich, England, Amerika und Italien, vor dem Kriege die literarischen Wechselbeziehungen erstarkten; die europäischen Richtungen litten durch den Krieg nicht und entwickeln sich nach dem Kriege sehr verheißungsvoll.

Der Europäismus widerspricht nicht dem gesunden Kern der Kollárschen Wechselseitigkeit; im Gegenteil, er ergänzt sie und erreicht ihren Gipfel; er schließt nur den romantischen Messianismus und den Chauvinismus aus. Soweit der Messianismus auf manche guten Eigenschaften und Eigentümlichkeiten der Völker aufmerksam macht, hat er seine Verdienste; die realistische Kritik wird den Messianismus nicht ausschließlich negieren, sondern eine Wertung aller lebendigen Kulturelemente geben und so die organische Synthese vorbereiten, die nicht unnational und antinational, sondern national sein wird – jede Nation wird unter dem Einfluß aller lebenden, kräftigenden Kulturelemente und -richtungen ihre nationale Eigenart und ihre nationalen Eigenschaften entwickeln.

Das ist die allgemeine Regel, die in jedem einzelnen Falle individualisiert und verwirklicht werden muß. Es ist sehr schwer, kritisch festzustellen, wie die fremden Einflüsse bei uns gewirkt haben, welche mehr und welche weniger (tiefer und allgemeiner), welche dauernd und welche vorübergehend; und noch schwerer ist es, zu bestimmen, welche fremden Einflüsse uns angemessen, brauchbar und kongenial sind, und in welchem Maße. Über all dies wissen wir bisher wenig Genaues; denn es erfordert die Erkenntnis, worin unser eigentliches nationales Wesen, unser nationaler Charakter besteht, wie weit der Inhalt unseres nationalen Daseins und Strebens richtig, wie beschaffen sein Kulturwert und was von den fremden Einflüssen für uns brauchbar und angemessen ist. Natürlich wurde bei uns gegen Deutschtum und Germanisation gepredigt, als man uns das Deutschtum, die deutsche Sprache und Kultur offiziell aufzwang; dagegen wurden die französischen und anderen Einflüsse und Vorbilder gerne angenommen, namentlich die slawischen, vor allem die russischen.

In der kulturellen Wechselbeziehung, im Suchen und Empfangen fremder, nicht bloß politischer, sondern auch kultureller Einflüsse liegt gerade eine Wertung des eigenen und der fremden Nationen, liegt eine Wertung der ganzen menschlichen Kultur. Solche kritische, wissenschaftliche Philosophie der Nationalität und der Kultur ist jetzt unsere Hauptaufgabe. Es genügt nicht, Liebe zum Vaterlande und zur Nation zu fordern, wir bedürfen der bewußten Liebe, wie Neruda es einmal formuliert hat, bedürfen eines durchdachten gesamtkulturellen Programms. Die Ausarbeitung eines solchen umfassenden Nationalprogramms habe ich schon vor dem Kriege stets verlangt, und so entstanden die Konflikte und Kämpfe um den Wert unserer Nationalität; ich zweifle nicht daran, daß jetzt, da wir politisch frei sind, die erforderliche Philosophie der Kultur und der Nationalität systematischer gepflegt werden wird. Unsere Literarhistoriker und Kunstkritiker, unsere Soziologen und Geschichtschreiber und ebenso unsere Politiker sind nun zur kritischen kulturellen Orientierung geradezu gezwungen: was tragen wir zur Schatzkammer der Menschheit bei und wessen bedürfen wir von den anderen Nationen, um viel beizutragen?

119.

Von diesem Gesichtspunkt aus beurteile ich die Forderung einer slawischen Politik. Selbst habe ich immer, auch während des Krieges slawische Politik getrieben, aber von ihrem Wesen und ihren Zielen andere Anschauungen gehabt, als gewöhnlich verkündet wurden und noch verkündet werden.

Mit der Befreiung wurden uns daheim neue slawische Aufgaben zuteil: die Vereinigung der Slowakei mit den historischen Ländern, die richtige Lösung der Frage Karpathorußlands und der polnischen und kleinrussischen Minoritäten (in der Slowakei). Das ist ein politisches, administratives und kulturelles Problem.

Heute besitzen wir unseren Staat wie alle anderen slawischen Völker (mit Ausnahme des kleinsten: der Lausitzer Serben) und dadurch ist unser politisches Verhältnis zu den selbständigen slawischen Völkern – Staaten – klarer und praktischer bestimmt als während der Dauer Österreich-Ungarns. Unsere Regierung wird selbstverständlich die offiziellen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen pflegen; aber die kulturelle Wechselbeziehung zu den slawischen Nationen werden nicht allein von der Regierung, sondern von allen Kulturkreisen und -Institutionen gepflegt werden. Heute gibt es für diese Beziehungen keine Hindernisse, und so werden durch die gewonnene Freiheit auch die Kulturbeziehungen wirksamer, als in früherer Zeit; ja eben dadurch, daß die slawischen Nationen insgesamt selbständig geworden sind, kann Kollárs Kulturideal voller verwirklicht werden.

Ich habe dargelegt, wie im Kriege durch die gemeinsamen Interessen die Zusammenarbeit mit den Südslawen und den Polen für die Befreiung entstanden ist. Sie werden wir in Zukunft fortsetzen; nur das Verhältnis zu Bulgarien ist durch den Krieg einigermaßen getrübt worden, doch nur vorübergehend. Ausführlich habe ich unsere ausländischen Beziehungen zu Rußland geschildert – sie sind eine lebendige Illustration unserer Russophilie vor dem Kriege.

Für Rußland haben wir seit Beginn unserer Wiedergeburt starke Sympathien empfunden; doch die wirklichen Beziehungen zu ihm waren sehr bescheiden. Rußland spielte schon am Ende des 18. Jahrhunderts in Europa eine bedeutende Rolle; und die Revolution und die nachrevolutionäre Restauration verschafften ihm eine oft führende Stellung. Schon Dobrovský hat unseren russophilen Standpunkt formuliert: Rußlands Größe bewirkte natürlich, daß der Panslawismus bei uns sehr oft als Panrussismus aufgefaßt wurde.

Andererseits hatten die Russen nicht so lebhafte Sympathien für uns, wie wir für sie. Während der Zarenzeit waren Regierung und Bureaukratie konservativ und daher auch legitimistisch. Es ist bekannt, wie z. B. Zar Nikolaus aus Legitimismus den Panslawismus abgelehnt hat. Für die rechtgläubigen Nationen empfand Rußland schon in älteren Zeiten Sympathien, und da sie unter der feindlichen und unchristlichen Türkenherrschaft lebten, wurde ihre Befreiung (allerdings auch die Eroberung Konstantinopels und der Meerengen) zum offiziellen Programm. Der liberale Teil der russischen Öffentlichkeit lehnte den offiziellen Nationalismus ab, und eigentlich gab es keine slawischen Sympathien. Ähnlich wie anderswo wurde auch in Rußland das slawische Bewußtsein nur von einem begrenzten Kreis von Slawisten und Historikern propagiert; von ihm aus drangen dann allmählich die Kenntnis der slawischen Nationen und die Sympathien für sie in breitere Kreise. Nur für die rechtgläubigen Nationen, also die Serben und die Bulgaren, gab es auch im Volke einige Sympathien, die durch das uralte Verhältnis der russischen Kirche zu Byzanz und zu den rechtgläubigen Balkan- und Ostvölkern befestigt waren. Gegen die katholischen und liberalen Slawen verhielt sich das offizielle und konservative Rußland reserviert, ja geradezu abweisend.

Rußland befreundete sich seit Peter (und schon vorher) mit Preußen und Deutschland, und die Deutschrussen genossen bei Hofe großen Einfluß. Der Adel neigte im 18. Jahrhundert zur französischen Kultur, – das russische Kulturleben war ein sonderbares franko-deutsches Gemisch. Im 19. Jahrhundert (nach der Revolution) wurde der deutsche Einfluß stärker, und in neuerer Zeit setzte der Sozialismus, vor allem die jüngere Generation die deutsche Richtung fort. Die Kenntnis der slawischen Literaturen und Kulturen war in Rußland bis in die neueste Zeit ganz unbedeutend.

Rußland trieb als Großmacht und stolz auf seine Größe Weltpolitik, wie es seine Stellung in Europa und in Asien erforderte. Der Balkan und die Türkei spielten in dieser Politik eine namhafte Rolle. Die finanziellen und politischen Bedürfnisse veranlaßten Rußland zum Bündnis mit Frankreich, und es kam schließlich auch zur Entente mit England, mit dem sich Rußland lange nicht in seiner Balkan- und Asienpolitik zu verständigen vermocht hatte.

Unter solchen Umständen brach der Weltkrieg über uns herein – wie, das habe ich genügend geschildert; unsere ältere, unkritische Russophilie wurde durch die Kriegsereignisse widerlegt und hoffentlich auch überwunden. Unser Slawentum darf nicht blind sein; ich lehne insbesondere den Panrussismus ab, der unter der Losung von Slawentum und slawischer Politik alle Hoffnung auf Rußland, auf ein imaginäres Rußland setzt; hinter dieser Russophilie verbirgt sich ein oft nihilistischer Pessimismus. Gerade die Tatsache, daß wir unsere Befreiung hauptsächlich dem Westen verdanken und weniger Rußland, ist eine Widerlegung dieser Russophilie: die unkritische russophile Politik, die noch zu Beginn des Krieges geherrscht hat, ist gescheitert. Sie ist nicht nur durch Rußlands Niederlage gescheitert, sondern auch durch seine Auflösung.

Wir müssen uns wünschen, Rußland möge sich konsolidieren. Aber die Konsolidierung wird nur aus Rußland selbst kommen, durch die Russen selbst, sie kann nicht durch andere Nationen und von außen herbeigeführt werden; in der Krise, in die Rußland geraten ist, kann es sich nur selbst retten, – durch Geldanleihen, Handel und alle äußeren Mittel der europäischen Zivilisation kann Rußland wohl Hilfe gebracht werden, aber die Erlösung wird man ihm damit nicht bringen. Auch Frankreich und andere Nationen – auch wir! – haben Revolutionen und eine Krise durchgemacht, wie Rußland sie erlebt, und mußten sich selbst helfen und halfen sich selbst. Wir können den Russen nur wenig Hilfe gewähren; was wir tun können, haben wir schon während des Krieges getan und tun es nach dem Kriege; da ich die tiefe politische und kulturelle Krise Rußlands verstand, habe ich meine Nichtinterventions-Politik danach eingerichtet. Rußland wird, daran glaube ich, zur Besinnung kommen, sich konsolidieren und wieder eine große politische Rolle spielen, eine größere als unter dem Zarismus; Rußlands bedürfen nicht nur wir und die anderen Slawen, seiner bedarf auch die ganze Welt. Wir waren Russophile vor dem Kriege und während des Krieges, Russophile bleiben wir, nur werden wir bessere, nämlich denkende und praktische Russophile sein, – darin werden wir Havlíček folgen, der als erster unserer Politiker den wahren Unterschied zwischen Zarismus und Nation zu machen verstand.

Mitunter vernehmen wir aus Polen eine Stimme, die polnische Nation werde Führerin der slawischen Völker sein, sie sei nach Rußland die größte und habe die richtigen westlichen Kulturgrundlagen dazu; wir wollen abwarten, ob Polen solch eine Politik Zu treiben versteht, aber ich verhehle nicht meine Meinung, daß ich dazu nicht Voraussetzungen genug erblicke.

Oft wird, besonders jetzt nach dem Kriege, bei uns und in russischen und südslawischen Kreisen Prag als die slawische Hauptstadt gepriesen. Meint man damit das Kulturzentrum, so kann ich beistimmen; Prag ist auch geographisch insofern vorteilhaft gelegen, als alle nach dem Westen gerichteten Slawen leicht zu uns gelangen können. Kulturell besitzen wir die richtigen Grundlagen und haben durch unser kulturelles Streben, vor allem durch die Reformation, die Entwicklung der anderen Slawen überholt und könnten die Führung innehaben. Dazu gibt uns die Tatsache eine gewisse Berechtigung, daß wir als die einzigen von allen Slawen Sympathien zu ihnen allen empfinden, ohne Rücksicht auf die Unterschiede, die noch die Nationen und gerade die Slawen so stark trennen, besonders auf den Kirchenunterschied. Aber das setzt voraus, daß wir uns selbst geistig zu konsolidieren vermögen und daß wir zugleich die richtige Haltung zu den nichtslawischen Nationen finden. Unsere Politik muß vor allem tschechisch sein, wahrhaft tschechisch, dann wird sie wahrhafte Weltpolitik sein und darum auch slawisch.

Die Grundlagen und Richtlinien der Außenpolitik unserer Republik wurden im Kriege durch die Erfahrungen und die Beziehungen zu fast allen Staaten ausgearbeitet. Wir haben bereits eine Tradition, wenn auch noch keine alte; für die Fortsetzung dieser Tradition spricht der politische Erfolg, der durch eine sachliche Auffassung der slawischen, europäischen und Weltsituation und -geschichte ermöglicht wurde.

120.

Unsere Außenpolitik wird in gewissem Maße durch Rücksichten auf die nationalen Minderheiten bestimmt. Alle Staaten (mit Ausnahme der kleinsten) weisen nationale Minderheiten auf; eine rein ethnographische Abgrenzung und Ordnung der Staaten ist unmöglich. Die gegenwärtigen Staaten sind in einer Zeit entstanden, in der die Nationalität keine direkte politische Rolle gespielt hat, und infolgedessen machten sich die anderen politischen, staatsschöpferischen Kräfte geltend. Erst in neuer Zeit wurde das Nationalitätsprinzip staatsschöpferisch, nicht aber allein entscheidend. Daher die Tatsache, daß die Staaten national gemischt waren und sind.

Ich habe oft darauf verwiesen, daß jede Minderheitsfrage eine Frage für sich darstellt und sich von den anderen unterscheidet. Gewiß hat unsere deutsche Minderheit unter unseren anderen und allen Minderheiten Europas ihre Besonderheit; einerseits ist sie verhältnismäßig bedeutend – drei Millionen gegen zehn –, es gibt in Europa elf Staaten, die kleiner sind als sie; unsere Deutschen sind andererseits kulturell reif, wirtschaftlich, industriell und finanziell stark; politisch sind sie in einem gewissen Nachteil dadurch, daß in Österreich-Ungarn die Politik für sie von der Wiener Regierung besorgt wurde und ihr eigener politischer Sinn infolgedessen nicht schärfer geworden ist. Unsere Deutschen haben das große Deutsche Reich hinter sich; sie grenzen auch an Österreich und dieses gleichfalls an Deutschland.

Für das Verbleiben der deutschen Minderheit bei uns berufen wir uns auf das historische Recht und die Tatsache, daß unsere Deutschen niemals auf eine Vereinigung mit Deutschland Wert gelegt haben, nicht nur nicht unter österreichischer Herrschaft, sondern auch nicht in der Zeit des Böhmischen Königreiches. Erst die neueste pangermanische Propaganda gewann Bekenner unter ihnen. Während des Krieges waren die Deutschen für Österreich und Deutschland und gegen uns; nach dem Kriege und besonders nach dem Umsturz in Prag versuchten unsere Deutschen, ihr Gebiet politisch zu organisieren, doch eben dieser Versuch hat, wie schon gesagt, die Unmöglichkeit erwiesen, das zerstreute und unzusammenhängende Gebiet administrativ zu sammeln. Das Faktum, daß sich viererlei deutsches Gebiet bildete, spricht für sich.

Einmal wurde auch von tschechischer Seite vorgeschlagen, einen Teil des deutschen Gebietes an Deutschland abzutreten; dieser Plan wurde auch in den Friedenskonferenzen erwogen. In England und Amerika gab es, wie ich berichtet habe, Anhänger des Programms genug, die neuen Staaten womöglich nach der Nationalität zu umgrenzen. Nach reiflicher Erwägung gaben mir zahlreiche Politiker, mit denen ich über die Sache verhandelte, darin recht, daß die wirtschaftlichen Interessen und die Zusammenhanglosigkeit bedeutender Teile der deutschen Minderheit für unser historisches Recht sprechen. Und dieser Gesichtspunkt errang auch in der Friedenskonferenz den Sieg.

Beurteilt man die Sache ruhig und realistisch, so liegt es im Interesse der Deutschen selbst, daß ihrer bei uns mehr als weniger sind. Angenommen, wir träten eine bis eineinhalb und sogar zwei Millionen ab; die bleibende Million müßte für ihr nationales Dasein unverhältnismäßig mehr Befürchtungen hegen, als drei Millionen die Tschechisierung zu fürchten brauchen.

Betrachten wir das Verhältnis zwischen uns und unseren Deutschen, wie es unter Österreich war und wie die Pangermanen es noch heute haben wollen, so entsteht die Hauptfrage. Ist es gerechter, daß drei Millionen, d. i. ein Bruchteil des deutschen Volkes, in einem nichtdeutschen Staate verbleiben oder daß zehn Millionen Tschechen und Slowaken, d. i. ein ganzes Volk, in einem deutschen Staate leben?

Unsere und auch die österreichischen Deutschen haben sich auf das Selbstbestimmungsrecht und Wilsons Autorität berufen. Dagegen führe ich an, daß nicht alle Deutschen sich auf dieses Recht berufen, Männer wie z. B. Lammasch, Redlich u. a. erkannten es nicht an, ganz zu schweigen von den österreichischen Ministern (Czernin u. a.); ebenso wurde es in Deutschland nicht anerkannt. Tatsächlich hat dieses Recht, das auch von unserer Seite schon vor dem Kriege verkündet wurde, bisher keine klare Formulierung erhalten. Gilt es für die ganze Nation oder auch für Teile von Nationen? Eine Minderheit, auch wenn sie größer ist, ist keine Nation. Die Bezeichnung »Selbstbestimmungsrecht« bedeutet nicht ohne weiteres das Recht politischer Selbständigkeit. Auch unsere Deutschen können bestimmen, mit uns zu bleiben, wie die Deutschen in der Schweiz ihr Verbleiben außerhalb Deutschlands bestimmt haben. Die Selbständigkeit des Ganzen und der Teile wird nicht allein durch das eigene Recht bestimmt, sondern auch durch das Recht der anderen, und über die Selbständigkeit entscheiden stets und überall nicht allein nationale und sprachliche Rücksichten, sondern auch wirtschaftliche u. a. Die Frage unserer deutschen Minderheit ist eine Frage des Rechtes nicht nur der Deutschen, sondern auch unseres Rechtes, der Tschechen, und eine Frage der beiderseitigen Vorteile, namentlich der wirtschaftlichen. Deshalb wurde in der Friedenskonferenz betont, daß die Losreißung der deutschen Minderheit die tschechische Mehrheit schädigen würde. Außer den wirtschaftlichen Gründen gibt es jedoch auch politische: Das deutsche Volk zieht daraus, daß ein größerer Teil den selbständigen österreichischen Staat bildet, daß in der Schweiz die Deutschen führend sind und daß es bei uns und anderswo deutsche Minderheiten gibt, großen politischen Nutzen, einen größeren, als wenn es ganz vereinigt wäre. Viele deutsche Politiker und Kulturhistoriker bewiesen und beweisen auch nach dem Kriege, daß das deutsche Volk kulturell dadurch gewinnt, daß es so auf mehrere Staaten verteilt ist. Das Gleiche gilt von den Franzosen (in Frankreich, Belgien, der Schweiz), den Engländern usw. Allerdings fordern heute, nach dem Kriege, die anderen Nationen, daß diese Teile des deutschen Volkes nicht eine vorstürmende Avantgarde seien, als die sie erklärt und zu welchem Zwecke sie von den Pangermanisten geleitet wurden, sondern daß sie sich zur friedlichen Zusammenarbeit mit den Völkern entschließen, mit denen sie seit alters her im selben Staate leben und mit denen sie wirtschaftliche und kulturelle Interessen verbinden. Es versteht sich von selbst, daß die Minderheiten das Recht haben, nationale Freiheit und eine angemessene Beteiligung an der Staatsverwaltung zu fordern.

In meiner ersten Botschaft habe ich die Tatsache hervorgehoben, daß unsere Deutschen als Kolonisten zu uns kamen. Selbst wenn es wahr wäre, daß irgend ein kleiner Teil der Deutschen sich vor der Kolonisierung bei uns im Lande aus der vorangegangenen Zeit erhalten hatte, so würde das die Bedeutung der deutschen Kolonisierung nicht beeinträchtigen. Die Deutschen sind als Kolonisten nicht Staatsbürger zweiten Ranges, denn sie wurden in unser Land von unseren Königen eingeladen und diese verbürgten ihnen alle Rechte, die nötig sind, um sich kulturell und national voll auszuleben. Das ist politisch und taktisch gerade für die Deutschen und nicht nur für uns wichtig: Ich melde mich ganz bewußt zur Nationalitätspolitik der Přemysliden, von denen die Deutschen national geschützt wurden. Allerdings erkenne ich die Deutschtümelei unter manchen Přemysliden nicht an. Wenn jemand mit dem Namen unserer Přemysliden přemysliti = überlegen, überdenken. Anm. d. Übers.den griechischen Prometheus verbinden will, so wende ich dagegen nichts ein, ich sehe vielmehr im Namen unserer ersten Dynastie das Programm, daß unsere Politik nicht allein gegenüber den Deutschen, sondern in ihrem ganzen Umfange überlegt sein muß, durchdacht oder, wie Havliček es gefordert hat, vernünftig und redlich.

Die Beseitigung des Streites zwischen uns und unseren Deutschen wird eine große politische Tat sein. Handelt es sich doch um die Lösung einer Jahrhunderte alten Frage, um die Regelung des Verhältnisses zwischen unserem Volke und einem großen Teile und damit dem ganzen deutschen Volke. Unsere Deutschen müssen sich dabei entösterreichern, müssen sich der alten Gewohnheit der Vorherrschaft und der Vorrechte begeben.

Außer den Deutschen haben wir einen unbedeutenden Teil von Polen, einen größeren von Kleinrussen (in der Slowakei), am meisten Magyaren. Auch für diese kleineren Minderheiten gilt die Regel, daß ihr nationales Dasein gesichert werden muß.

Alle Minderheiten müssen ihre Volks- und Mittelschulen haben; die Hochschulen und höheren Kulturinstitutionen und ihre Anzahl regeln sich heute überall im gebildeten Europa nach einer bestimmten Rechnung, der Bildung und dem Bedürfnis der Bevölkerung. In Deutschland selbst kommt eine Universität annähernd auf drei, eine technische Hochschule auf sechs Millionen Einwohner. Bei uns haben drei Millionen Deutsche auch eine Universität und zwei technische Hochschulen.

Politisch ist die deutsche Minderheit die wichtigste. Ihre Gewinnung für die Republik wird alle anderen Minderheitsfragen erleichtern.

Soweit es sich in einem nicht einsprachigen Staate um die Behörden und die Amtssprache handelt, muß die Regel gelten, daß das Bedürfnis der Einwohner und der administrative Vorteil entscheiden, – der Staat ist für die Einwohner da, nicht die Einwohner für den Staat. Unser Staat als Gesamt- und einheitliche Organisation und seine Armee werden ihre tschechische (slowakische) Sprache haben: das ist durch das Mehrheitsprinzip der Demokratie gegeben. Der Staat wird also tschechoslowakisch sein. Aber die nationale Art des Staates ist nicht durch die Staatssprache gesichert; die Sprache erschöpft nicht den nationalen Charakter, der nationale Charakter unseres Staates muß auf der Qualität des konsequent und nachdrücklich durchgeführten gesamtkulturellen Programms beruhen.

Vor dem Kriege habe ich mich an der Diskussion über die Zwei- und Einsprachigkeit der Behörden beteiligt: ich betrachte unter den neuen Umständen die Zweisprachigkeit als die praktischste Lösung; die Einsprachigkeit der Beamten im zweisprachigen Amte eignet sich in der Übergangszeit für manche Gegenden. Ob solche Einsprachigkeit auch später möglich ist, wird die Erfahrung zeigen.

Da wir im national gemischten Staat leben und eine so eigentümliche Stellung mitten in Europa haben, ist die Sprachenfrage für uns nicht nur politisch, sondern auch kulturell sehr wichtig.

Vor allem handelt es sich praktisch um die Kenntnis der im Staate gesprochenen Sprachen. Es liegt im Interesse der Minderheiten, sich die Kenntnis der Staatssprache anzueignen; andererseits liegt es im Interesse der Mehrheit, die Sprache der Minderheiten, besonders die der großen Minderheit, zu können; danach wird der Sprachunterricht in den Schulen geregelt werden; auch hier gilt die Regel des administrativen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnisses. Die deutsche Sprache ist für uns politisch wichtig, unsere Beamten müssen sie können, ja gut können, um auch in die Volksdialekte einzudringen. Das Deutsche ist eine Weltsprache und deshalb als Kultur- und Bildungsmittel von Nutzen.

In den tschechischen und slowakischen Mittelschulen und den oberen Klassen der Volksschulen muß das Deutsche unterrichtet werden, in den deutschen das Tschechische. In der Slowakei gilt die analoge Regel für das Slowakische und das Magyarische, wenn auch vielleicht in geringerem Maße. Ob die Sprachen Pflichtgegenstand sein sollen oder nicht, darüber mögen Erfahrungen und Praxis entscheiden.

Außer den heimischen brauchen wir jedoch auch die fremden Sprachen, Französisch, Englisch, Russisch und Italienisch. Bedenken wir, daß wir Gymnasien mit Latein und Griechisch haben, so wird die Sprachenfrage sehr kompliziert und schwierig: unsere Comeniusse – oder sind wir nicht das Volk des Comenius? – haben die Aufgabe, die Unterrichtsmethoden überhaupt und auch die für Sprachen gründlich zu vervollkommnen und zu vereinfachen, um die Aneignung der Sprachen möglichst zu erleichtern.

Die Sprachenfrage ist für uns wirklich sehr wichtig; ich will zu ihr noch zurückkehren.

Die vervollkommnete Selbstverwaltung und die Proportionalvertretung (der Minderheiten) sind im demokratischen Staate ein gutes Mittel des Minderheitsschutzes; Selbstverwaltung und Proportionalvertretung sind Forderungen der Demokratie.

Chauvinistischer Nationalismus hat nirgends eine Berechtigung, am wenigsten bei uns. Ich pflege zu Deutschen und Ausländern eine bemerkenswerte Tatsache zu erwähnen, die unseren Umsturz und, wie ich glaube, auch unseren nationalen Charakter kennzeichnet. Trotz allen österreichischen Bedrückungen während des Krieges und trotz allem chauvinistischen Gehaben eines großen Teiles unserer Deutschen wurde am 28. Oktober 1918 weder in Prag noch anderswo gegen die Deutschen Gewalt angewendet. Wir waren beim Umsturz so von der positiven staatsschöpferischen Aufgabe erfüllt, daß wir an etwas Böses gar nicht dachten und eine Politik der Vergeltung nicht ausübten. Ein paar Ausschreitungen Einzelner sind kein Gegenbeweis.

In den führenden Kreisen des Umsturzes dachte man von allem Anfang an daran, die Deutschen zur Mitarbeit heranzuziehen. In der Genfer Versammlung der Delegierten des Nationalausschusses wurde der als selbstverständlich ohne Debatte angenommene Vorschlag gemacht, in die Regierung einen deutschen Minister aufzunehmen; in der Demokratie versteht es sich von selbst, daß jede Partei, sobald sie die Politik des Staates und den Staat anerkennt, ein Recht auf Beteiligung an der Staatsverwaltung hat. Ja, sie hat die Pflicht dazu. Mir ist weiter bekannt, daß der Nationalausschuß sich zugleich bemüht hat, unsere Deutschen für sich zu gewinnen und daß mit ihnen verhandelt wurde. Von deutscher Seite wird behauptet, daß am 29. Oktober dem Statthalter Coudenhove angeboten wurde, selbst für die Deutschen Mitglied des Nationalausschusses zu werden. Nicht anders versprach der Nationalausschuß in Brünn dem Militärkommando, zwei Deutsche als Mitglieder zu berufen. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde nach dem Umsturz von tschechischer Seite auch die Schaffung eines deutschen Landsmannministeriums angeboten. Dieses Vorgehen der Führer des Umsturzes war gewiß von Versöhnlichkeit, vielleicht auch von politischer Voraussicht diktiert.

Die Geschichte beweist, daß alle Staaten durch Chauvinismus gefallen sind, sei es durch nationalen, sei es durch ständischen, politischen oder religiösen Chauvinismus. Ich erinnere mich jetzt nicht des Namens des modernen portugiesischen Historikers, aus dessen Werk ich in London ausführliche Auszüge gelesen habe: er zeigt sehr überzeugend, wie das Weltreich Portugal durch chauvinistischen Imperialismus gefallen ist. Und was beweist der Fall Österreichs und Ungarns, Preußen-Deutschlands und Rußlands? Wer mit dem Schwert umgeht, geht durch das Schwert zugrunde.

Wir werden das nationale Problem richtig lösen, wenn wir begreifen, daß wir desto nationaler sein werden, je menschlicher wir sind. Und wir werden desto menschlicher sein, je nationaler wir sind. Zwischen Nation und Menschheit, zwischen Nationalität und Internationalität, zwischen Nationalismus und Humanität ist kein solches Verhältnis, daß Menschheit als Ganzes und Menschlichkeit und Internationalität als extensives und intensives moralisches Streben etwas außer der Nation, gegen die Nation oder über der Nation und der Nationalität wäre. Die Nationen sind die natürlichen Organe der Menschheit.

Durch die Neuordnung Europas, durch die Schaffung der neuen Staaten verliert der Nationalismus seinen negativen Charakter, die unterdrückten Völker sind selbständig geworden. Und gegen einen positiven Nationalismus, der durch intensive Arbeit die Erhöhung seiner Nation anstrebt, kann niemand etwas einwenden. Nicht Liebe zur Nation, sondern der Chauvinismus ist der Feind der Nationen und der Menschheit. Liebe zur Nation bedingt nicht die Nichtliebe zur andern Nation.

Es ist natürlich, daß die Nationalität, die Zugehörigkeit zu einer Nationalität praktisch durch die Sprache bestimmt wird; die Sprache ist gewiß der Ausdruck des nationalen Geistes. Aber sie ist nicht der einzige Ausdruck; seit dem 18. Jahrhundert studiert man das Wesen der Nationalität und kommt zu der Erkenntnis, daß die Nationalität, die Eigenart und der Charakter einer Nation, sich im ganzen geistigen und kulturellen Streben ausdrückt. Daher erfordert heute die bewußte Pflege der Nationalität nicht nur ein sprachliches, sondern ein umfassendes kulturelles Programm, – unsere Literatur und Kunst, unsere Philosophie und Wissenschaft, unsere Gesetzgebung und unser Staat, unsere Politik und Verwaltung, unsere sittliche, religiöse und überhaupt geistige Art muß national sein. Jetzt, da wir die politische Selbständigkeit errungen haben und Herren unseres Schicksals sind, genügt uns nicht ein Nationalitätsprogramm aus der Zeit der nationalen und staatlichen Knechtschaft; damals wurde natürlich das Sprachenprogramm betont, heute muß das nationale Programm gesamtkulturell sein. Es ist nicht meine Aufgabe, den verwickelten Begriff des nationalen Charakters zu zerlegen, aber ich will doch vor der Unklarheit und Oberflächlichkeit warnen, mit der so oft über die Sache gesprochen wird. Stammt der Charakter aus der Rasse und was ist eigentlich die Rasse? Was meint man, wenn man z. B. sagt, daß wir diese oder jene Eigenschaft im Blute haben? Ist die Rasse reines, ungemischtes Blut? Was ist nationaler Instinkt, was und wie ist nationales Gefühl? Wieweit ist der nationale Charakter von körperlichen, wieweit von seelischen Eigenschaften abhängig? Unterscheidet sich der nationale Charakter vom individuellen, wodurch und wie? Wandelt sich der nationale wie auch der individuelle Charakter nicht durch Erziehung, Schule, große Erfahrung (einen verlorenen, einen siegreichen Krieg usw.)? Und spricht man zugleich vom slawischen Charakter: ist uns klar, welche Eigenschaften allen Slawen gemeinsam sind und wodurch wir uns einer vom andern unterscheiden, der Tscheche vom Russen usw.? Unterscheidet der Katholik sich nicht sehr auffällig vom Protestanten, auch wenn beide gleicher Nationalität sind? Unterscheidet sich der Nordländer nicht vom Südländer usw.? – Ich mache auf all dies immer wieder aufmerksam – auch im »Neuen Europa« und schon öfter vor dem Kriege, weil wir uns beständig auf das Nationalitätsprinzip und seine politischen Folgen berufen, und zwar nicht immer mit dem gebührenden Vorbehalt.

Wir haben von der kulturellen Synthese gesprochen, um die es jetzt im gebildeten Europa geht; es ist die Synthese der Kulturelemente verschiedener Nationen. Mit dieser Synthese kann man gerade in den gemischten Staaten anfangen: die Minderheiten der gebildeten Nationen haben hier eine wichtige und ehrenvolle Aufgabe,

121.

Wie wir nach Demokratie in der Außenpolitik streben werden, so wird Demokratie auch in der Innenpolitik unser Programm sein; wir haben unseren Staat im Namen der demokratischen Freiheit erneuert, – wir werden seine Freiheit nur durch Freiheit und eine immer vollkommenere Freiheit erhalten.

Die Demokratie ist noch nirgends folgerichtig gewürdigt; alle demokratischen Staaten sind bisher nur Versuche mit der Demokratie, Die demokratischen Staaten haben, der eine mehr, der andere weniger, vom Geiste und von den Einrichtungen des alten Regimes, aus dem sie sich entwickelt haben, bewahrt, – auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nach innen und nach außen werden erst die wirklich neuen Staaten, die Staaten der Zukunft beruhen. Nicht nur, daß unser Staat demokratisch sein muß, er kann nicht undemokratisch sein. Beim Vergleich mit Amerika habe ich gesagt, daß wir keine Dynastie haben, keinen nationalen Adel, keine Tradition einer alten, militaristischen Armee und keine politisch so anerkannte Kirche, wie die alten Staaten sie anerkannten, besonders die absolutistischen, zaristischen, theokratischen. Schon darum mußte unser erneuerter Staat eine demokratische Republik werden, und diese Gründe entschieden außer dem positiven Wert der Republik und der Demokratie bei mir über die Form unseres Staates mit. Ich wußte allerdings, daß die Jahrhunderte alte Erziehung und das Beispiel des absolutistischen, rein dynastischen Österreich ihre Folgen hinterlassen haben; unser Demokratismus war bisher negativ, er negierte den österreichischen Absolutismus, doch muß er jetzt positiv werden; das, was wir als Ideal verfochten, muß jetzt Wirklichkeit werden. Das wird nicht leicht sein.

Die Demokratie, die die Volkssouveränität verficht, unterscheidet sich nicht nur graduell, sondern durch ihre ganze Qualität von der Aristokratie, namentlich der monarchischen. Die alten Monarchien waren von Gottes Gnaden, die republikanische Demokratie ist ein Staat aus dem Volk, durch das Volk, fürs Volk; die Demokratie stützt sich nicht wie die alten Monarchien auf die Kirche, sondern ist auf Humanität gegründet.

In der Demokratie kommt es, da sie die Regierung aller für alle darstellt, nicht mehr auf das Herrschen an, sondern auf Verwaltung und Selbstverwaltung und auf die Abstimmung aller staatsschöpferischen Kräfte im Staate aufeinander. Das Ideal der Demokratie wäre direktes Regieren und Verwalten; aber bei der wachsenden Stärke aller Nationen und Staaten kann die Demokratie nur indirekt sein, ausgeübt durch das Parlament, durch die nach dem allgemeinen Stimmrecht gewählten Vertreter der Staatsbürger. Dieses Parlament und seine Regierung darf nicht zum Herrscher nach alter Art und Weise werden, sondern muß sich stets gut bewußt sein, daß seine Autorität aus der Delegierung durch die Wähler stammt.

Die demokratischen Verfassungen führen Volksabstimmungen ein, durch die die allgemeine Demokratie von Zeit zu Zeit, wenigstens in der Gesetzgebung, auch quantitativ zur Geltung kommt. Die Demokratie schützt notwendigerweise den Individualismus, – Freiheit ist das Ziel und das Wesen der Demokratie, diese wurde und wird aus dem modernen Individualismus geboren. Darum stellt die Wahl, die Auslese der Repräsentanten eine Wertung dar; die Demokratie erkennt Qualifikation und Autorität an, nur daß Autorität in der Demokratie nicht politischen und ständischen Vorrang und Privilegien bedeutet, sondern politische und administrative Eignung, fachliche Qualität. Deshalb hat die Demokratie die Aufgabe, bei der Freiheit und Mitverwaltung aller die Autorität der gewählten Führer – nicht Herren! – zu organisieren und zu sichern und diese Führer sich zu erziehen. Die Demokratie ist keine Pauschalgleichheit, die qualitative Unterschiede nicht anerkennt, – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bedeuten nicht Nivellisierung, sondern Individualisierung und daher auch Qualifizierung.

Zur Verwaltung und Leitung des demokratischen Staates gehören administrative Kenntnisse und organisatorische Fähigkeiten, die »e pluribus et multis – unum« zusammenzuspielen vermögen; dem muß sich politischer Sinn verbünden, das Verständnis dafür, wohin Nation und Staat nach ihrer und der Welt Entwicklung hinzielen. Überall unterscheidet man bereits zwischen Staatsmann und Politiker.

Demokratie stützt sich auf Wissenschaft und allseitige und allgemeine Bildung. Demokratie ist ein ständiges Streben nach politischer Erziehung und überhaupt nach Erziehung der Bevölkerung. Erziehung ist jedoch in hohem Maße Selbsterziehung, – Schwierigkeiten der Erziehung bereiten uns nicht bloß Kinder, sondern auch Erwachsene, wir selbst.

Mit der sich festigenden Demokratie entstehen überall, auch in den Republiken, die dringenden Probleme, wie die Parlamente einzurichten und zu reformieren seien. Doch nicht allein in technischer Beziehung! Die Institutionen genügen nicht: die Demokratie braucht Persönlichkeiten, die die Verwaltung des Staates lenken, Persönlichkeiten, die schöpferischer politischer Arbeit fähig sind. Heute äußert sich mit dem Parlamentarismus überall, in verschiedenem Grade, Unzufriedenheit, man spricht von seiner Krise; aber die Demokratie kann ohne gewählte Vertreter einfach nicht sein, – die russischen Bolschewiken haben trotz ihrer Abneigung gegen Parlament und Demokratie ihr Parlament und ihre nur anders – undemokratisch – gewählten Parlamente. Die wahre Reform des Parlaments wird durch die Reformierung der Wähler erfolgen, durch ihre politische Bildung und höhere Sittlichkeit.

Doch sind allerlei Änderungen der bisher geltenden Wahlordnungen und dadurch der Parlamente möglich. Diese Änderungen würden auf die Sicherung der politischen Qualifikation der Abgeordneten und die Vereinfachung des parlamentarischen Organismus abzielen. Die Parteien könnten z. B. das Recht erlangen, unter gewissen Umständen einen ihrer Abgeordneten abzuberufen und durch einen andern zu ersetzen. Die Parlamente könnten weniger zahlreich sein; bei der Verhältniswahl könnte manche Art gefunden werden, wie die Anzahl der Abgeordneten im Verhältnis zur Größe der Parteien zu reduzieren sei, obgleich die größere Anzahl von Abgeordneten das Gute für sich hat, daß der Parlamentarismus in die großen Massen der Wähler getragen wird und das Parlament bzw. die Regierung in engerer Fühlung mit den Wählern ist. Deshalb bleibt die Forderung für jede Form des Parlaments: Bildung und Sittlichkeit der Abgeordneten!

Zur Reform des Parlamentarismus wird sich die der Bureaukratie gesellen; die Bureaukratie ist in neuer Zeit in hohem Maße das Gerippe des Staates. Die monarchische, zarische Bureaukratie war aristokratisch, ein Mittel des Herrschens; die demokratische Bureaukratie wird nur administrativ für das Volk wirken. Im alten Österreich spielte der letzte Angestellte der Staatsbahnen gegenüber dem Publikum den Herrn, als ob er durch seinen Dienst Gnaden erwiese, – in der Demokratie ist der noch so hohe Beamte selbst ein freier Bürger und ein Arbeiter des Volkes und für das Volk. Das Amtieren darf nicht schleppend sein, die Angelegenheiten und Akten dürfen nicht spät erledigt werden, die Beamten sich vor Verantwortung und Entscheidungen nicht fürchten; überflüssige Schreibereien haben zu entfallen und sind durch mündliche Erledigung zu ersetzen; der ganze staatliche und administrative Apparat wird sich vereinfachen und vereinheitlichen. Die demokratische Bureaukratie wird redlich und rein sein. Schon im alten Österreich redete man lange von der Verwaltungsreform; in der Republik ist diese Reform um so dringender. Die Ersetzung des Adlers durch den Löwen Des österreichischen Wappentieres durch das tschechische. Anm. d. Übers.ist noch nicht alles: Demokratie und Republik sind nicht nur die Negierung von Monarchismus und Absolutismus, sondern ein positiver, höherer Zustand der politischen Entwicklung.

Die Demokratie nach außen, in der auswärtigen Politik, beruht auf der freundschaftlichen Organisierung und Festigung der Zwischenstaatlichkeit und Internationalität, sowie auf der organisierten gesamtkulturellen Zusammenarbeit und Arbeitsteilung der Nationen und Staaten. Allgemeine demokratische Außenpolitik bedeutet allgemeinen Frieden, allgemeine Freiheit.

Oft wird eine neue Diplomatie gefordert. Die ererbte Diplomatie war ja dynastisch. Die neue Diplomatie, die die Staatsbürger repräsentiert, wird gebildet, ehrenhaft und nicht ständisch sein, ihrem Staate und ihrer Nation ohne Hinterlist gegen die fremden Staaten und die fremden Nationen dienen, wird taktvoll und diskret, aber offen sein. Die Vorstellung, daß die Diplomatie schlau sein müsse, hat sich überlebt; die Menschen beginnen zu verstehen, daß die Lüge im ganzen Verkehr und Tun des Einzelnen und der Staaten dumm ist und die Verhandlungen überflüssig kompliziert und aufhält. Die Wahrheit ist in allem, auch in der Politik, am praktischsten. Das alte Regime war eine Welt der Illusionen und hatte daher auch eine illusionistische Diplomatie.

Soll die neue Diplomatie die Diplomatie der ganzen Nation sein, so muß sie auch bei der Nation, also beim Parlament, nicht nur beim Staatsoberhaupt akkreditiert sein. Das würde folgerichtig bedeuten, daß der Gesandte im (fremden) Parlament auftreten und dort die Interessen und die Politik seines Staates verfechten würde. Zur Zwischenstaatlichkeit und Internationalität würde sich auf diese Weise wirksam die Interparlamentarität gesellen, die sich mit der Zeit noch ausdehnen läßt.

Dostojevskij hat schön gezeigt, daß die Sehnsucht nach Vereinigung mit den Menschen eine russische und slawische Eigenschaft sei – das Allmenschentum; es ist eine Sehnsucht aller Menschen und Nationen; Mensch und Nation ertragen es nicht, allein zu sein. Wenn ich so oft das Weltmenschentum verkündet habe, so ist es nur ein anderes Wort für die angeborene Sehnsucht und das ihr entsprechende Streben aller Menschen nach allgemeiner Freundschaft und Vereinigung. So wie der Einzelne nicht ohne die Sympathie seiner Umgebung leben kann, so braucht die Nation die Sympathien der anderen Nationen. Die Geschichte reift zur einheitlicheren Organisation der ganzen Menschheit.

Die Internationalität und Zwischenstaatlichkeit befestigt sich durch die Entwicklung der demokratischen Staaten; der Völkerbund ist jetzt die allgemeinste und wichtigste internationale Institution und wird geradezu ein Organ der Internationalität und Zwischenstaatlichkeit. Es gibt bereits eine beträchtliche Reihe von internationalen, wichtigen Institutionen, wie das Rote Kreuz, die Postunion usw.; Statesman's Year Book für 1924 gibt 25 wichtigere Institutionen an, doch gibt es ihrer bereits Hunderte Die Anzahl der internationalen Organisationen Ende 1922 nach dem Handbook of International Organisations:

Landwirtschaft, Handel und Industrie .......... 24
Verkehr und Transport .......... 27
Arbeit .......... 58
Medizin und Hygiene .......... 36
Volkswirtschaft und Finanzen .......... 23
Recht und Verwaltung .......... 34
Kunst und Wissenschaft .......... 76
Humanitarismus, Religion, Moral und Erziehung .......... 84
Sport und Touristik .......... 22
Feminismus .......... 7
Internationale Sprachen .......... 8
Bibliographie .......... 4
Rüstungswesen .......... 2
Allgemeine 32
Gesamt:.......... 437.

Der Begriff, Inhalt und Umfang der Staatssouveränität wandelt sich: Der Begriff der Souveränität wurde in der Zeit des im Grunde noch theokratischen Absolutismus nach der Reformation genauer umschrieben, in einer Zeit, da die Staaten infolge Mangels an Verkehrsmitteln und der geringen Dichte der Bevölkerung in sich abgeschlossen und, wie man jetzt zu sagen pflegt, selbstgenügsam waren; heute hat sich die zwischenstaatliche und internationale Wechselbeziehung in solchem Maße entwickelt, daß kein Staat ohne Rücksicht auf die anderen Staaten leben kann. Heute ist der Staat nach innen und außen nur relativ selbständig, denn die Staaten werden voneinander abhängig, die allgemeine Wechselbeziehung nimmt zu und organisiert sich auch rechtlich immer bestimmter und klarer.

Der absolutistische, monarchische Staat, der sich aus der Theokratie entwickelt hatte, eignete sich den theokratischen Begriff der Souveränität im Sinne der Unfehlbarkeit an; die Redensart »the king can do no wrong« stammt aus dem demokratischen England; im demokratischen Amerika kontrollierte die Staatswissenschaft die Unfehlbarkeit des Staates – im Fortschritt gegen die Unfehlbarkeit der Einzelperson, des Monarchen: auch die Jurisprudenz und die Staatswissenschaft muß sich demokratisieren, d. h. sich der Konstruktionen und Fiktionen des theokratischen Regimes entledigen.

122.

Die echte Demokratie wird nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und sozial sein.

Das wirtschaftliche Problem ist heute so wichtig, weil Krieg und Revolution den Reichtum und die Vorräte der Nationen vernichtet und einen unorganischen Zustand von wirtschaftlicher Primitivität und des Mangels herbeigeführt haben. Die Krise ganz Europas, ja der ganzen Menschheit zwingt nun zu wirtschaftlichem Wiederaufbau. Aber es ist ein Irrtum, in dieser durch den Krieg verschuldeten Lage einen neuen Grund für den wirtschaftlichen (historischen) Materialismus zu erblicken, als hätten wir nur wirtschaftliche Aufgaben. Gerade der Krieg und die wirtschaftliche und soziale Lage nach dem Kriege beweisen, daß der Hunger, wie Marx richtig sagt, kein Programm sei. In der Krise des Krieges und nach dem Kriege macht eben auch der Sozialismus seine Krise durch.

Das Trachten nach wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit ist durch den Krieg nicht schwächer, sondern eher stärker geworden. Dafür zeugt allein schon die Entstehung der neuen Republiken und Demokratien. Die demokratische Gleichheit läßt keinen sozialen Adel zu; aber ich habe schon bei der Besprechung des russischen Bolschewismus gesagt, daß ich die ideale Lösung für die erwünschte wirtschaftliche Gleichheit nicht im Kommunismus sehe. In diesem Stadium der Entwicklung trachtet die Demokratie, das Elend und die größten Kontraste des Reichtums zu beseitigen; sie darf nicht einmal auf dem wirtschaftlichen Gebiete nivellisieren, sondern muß qualifizieren.

Der sogenannte Kapitalismus ist nicht so sehr durch seine Produktion zweifelhaft, wie dadurch, daß nichtproduzierende, ja sogar nichtarbeitende Menschen sich unverdient den Ertrag ehrlicher, ermüdender Arbeit aneignen können.

Angefangen von Adam Smith leiten die nationalökonomischen Theoretiker Wirtschaft und Wirtschaftlichkeit vom Egoismus ab; gewiß ist dieser eine mächtige, bewegende Kraft. Aber man vergißt das sachliche Fachinteresse, das die Menschen haben, der eine für dieses, der andere für jenes Fach der Arbeit und der Erzeugung. Der Unternehmer, der Erfinder ist kein Egoist; manche, und gerade die besten, interessieren sich sachlich für ihr Unternehmen, erfinden, organisieren, leiten und vervollkommnen Arbeit und Erzeugung. Der soziale und wirtschaftliche Anarchismus, über den Marx mit Recht klagt, stammt auch daher, daß die Menschen nicht nach ihrer Begabung am rechten Platz stehen. Das gilt freilich allgemein nicht nur für das wirtschaftliche, sondern für alle Gebiete; der Egoismus ist eine Eigenschaft aller Menschen und setzt sich überall durch, aber daneben gibt es eben auch Begabungen für besondere Fächer. Das gilt für Politik usw.

Ich bin nicht gegen die Sozialisierung in manchen Fächern – Sozialisierung, keineswegs nur Verstaatlichung oder Staatsaufsicht –, wie Sozialisierung der Eisenbahnen und überhaupt der Verkehrsmittel, der Wasserstraßen, der Kohle usw.; ich stelle mir eine allmähliche, entwicklungsmäßige Sozialisierung vor, die vorbereitet wird durch die Bildung der Arbeiterschaft und derjenigen, die Erzeugung und Austausch leiten. Dazu bedarf es einer genauen Finanzwirtschaft des Staates und einer genaueren und sachlicheren Kontrolle des ganzen Finanzwesens, namentlich auch der Banken.

Aber vor allem muß die angefangene soziale Gesetzgebung ausgebaut werden, – namentlich die Vervollkommnung und Vereinheitlichung der Sozialversicherung und der Versicherung der Arbeitslosen müssen durchgeführt werden.

Unsere besondere Aufgabe ist die Bodenreform; sie war schon vor dem Krieg eine Forderung aller Parteien. Ich habe gezeigt, wie unser Land dem preußischen Osten ähnlich ist. Eine Hauptursache der Latifundien waren bei uns die Konfiskationen während der Gegenreformation, die von den gewinnsüchtigen Habsburgern und einem fremdländischen Adel vollzogen wurden. Unser Land ist reich, – um so größer ist die Aufgabe unserer Demokratie auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete.

Unsere zweite große besondere Aufgabe besteht darin, uns mit Hilfe des Staates, der Gemeinden und aller sogenannten humanen Einrichtungen um die physische und seelische Gesundheit der Nation zu kümmern; daß in der Republik sofort nicht nur ein Ministerium für soziale Fürsorge, sondern auch ein Ministerium für Gesundheitswesen errichtet wurde, ist gewiß ein Beweis, daß die Repräsentanten des Volkes das nationale Bedürfnis gut erkannt haben. Durch den Krieg, nicht durch die allgemeine Verarmung, sondern auch durch psychophysische Erschöpfung wurde die Lebenskraft der Bevölkerung geschwächt; das bemerkt man nicht nur bei uns, sondern überall. Aber eine kleine Nation muß ihre Schwächung intensiver empfinden als eine große. Die gewöhnliche Erfahrung und die ärztliche Statistik belehren uns über viele Symptome und Erscheinungen; ich gebe nur die Zahl der Opfer der Tuberkulose an: bei uns sterben jährlich fast sechsmal soviel Menschen an Tuberkulose als in England. Mit uns auf gleicher Stufe befinden sich Frankreich und Serbien, zwei Länder, die durch den Krieg physisch am schwersten gelitten haben.

Diese hohe Sterblichkeit durch Tuberkulose und die schwache Gesundheit überhaupt müssen wir in Verbindung mit unserer großen Selbstmordzahl beurteilen – mit der Tatsache, daß wir, was die Zahl der Selbstmorde betrifft, an vierter, wenn nicht an dritter Stelle stehen.

Gegen die verbreitete Anschauung, daß Gesundheit und lange Lebensdauer durch genügende Mengen und Überfluß an Nahrungsmitteln und überhaupt durch Wohlstand gesichert seien, muß abermals hervorgehoben werden, daß der Mensch nicht allein vom Brot lebt! Wohlstand und Reichtum entscheiden da nicht allein: wir begreifen bereits, daß der Mensch nicht weniger da leidet und laboriert, daß er zuviel ißt, als daran, daß er nicht genug ißt. Physiologen, die die Ernährung studieren, sagen uns, daß die Menschen zuviel Fleisch essen: wir leiden nicht bloß an Alkoholismus, sondern auch an Albuminismus. Es ist kein Parodoxon, daß der zivilisierte Mensch noch nicht essen kann. Die Gesundheit an Leib und Seele wird durch Mäßigkeit und Sittlichkeit bewahrt: der Mensch erhält sich sein Leben und bleibt gesund, wenn er ein Lebensziel, wenn er etwas hat, um das er sich kümmert, wenn er jemanden liebt und wenn er keine Todesfurcht hat. Diese Furcht äußert sich nicht nur in Lebensgefahr (in akuter Gefahr), sondern zu jeder Zeit und in all den kleinen und kleinlichen Sorgen um die Gesundheit: der zivilisierte Mensch sucht fortwährend Glück und Gesundheit, ist aber unglücklich und ungesund. Dieser moderne zivilisierte Mensch ist noch zum Erbarmen kulturlos!

Mit der Gesundheitsfrage hängt die Frage der Auswanderung zusammen. Mit ihr habe ich mich längst vor dem Kriege beim Besuch unserer Kolonien befaßt, und meine letzten Erfahrungen während des Krieges haben mir das Problem noch verdeutlicht. Die Frage der Bevölkerungszunahme ist für jeden Staat wichtig, für große und kleine Staaten in gleicher Weise. Ein großer Teil der Bevölkerung wanderte von uns und namentlich aus der Slowakei vor allem nach Amerika aus, und der neue Staat wird deshalb dafür sorgen müssen, daß ein vorbildliches Auswanderungsamt errichtet wird, das sich mit der ganzen Auswanderungsfrage sorgfältig beschäftigt. Es handelt sich nicht bloß um die Aufsicht über die Reisen unserer Auswanderer, sondern auch um ihre Belehrung über die Lage in den Ländern, in die sie auswandern, und um die Kontrolle und Leitung des Auswanderungsstromes überhaupt. Die diplomatischen und konsularischen Behörden werden den Einwanderern auch in den neuen Ländern behilflich sein. Mir scheint, daß Italien, das Land der meisten Auswanderer, ein vorbildliches Auswanderungsamt hat; wir werden auch etwas Ähnliches haben müssen.

Die Kulturpolitik wird sich möglichst gewissenhaft dem Gesundheitswesen und der sozialen Fürsorge zu widmen haben; das Ministerium oder das Amt für Gesundheitswesen wird ein wichtiges und neues Verwaltungsgebiet gewinnen.

123.

Die Demokratie, die neue demokratische Republik, erfordert neue Menschen, einen neuen Adam. Der Mensch ist ein Gewohnheitsgeschöpf; wenn wir eine wahre, moderne, folgerichtige Demokratie haben, so müssen wir uns die älteren politischen Gebräuche abgewöhnen, alle Arten und Formen der Gewaltsamkeit, Das vor allem bedeutet auch die Losung: Uns entösterreichern!

Man muß immer betonen: die demokratische Republik besteht nicht nur darin, daß ein Präsident statt des Monarchen da ist, der Unterschied besteht nicht nur in der Staatsform, sondern ist grundsätzlich. Die Demokratie ist die Staatsform der neuzeitlichen Organisation der Gesellschaft, der modernen Weltanschauung, des modernen Menschen; sie ergibt sich aus der ganzen Anschauung von Welt und Leben, einer neuen Anschauung, neu durch den Gesichtswinkel, die neue Methode. Die Anerkennung und Ausübung der Gleichheit aller Staatsbürger, die Zuerkennung der Freiheit an sie alle, das Humanitätsprinzip der Brüderlichkeit nach innen und außen – das ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein sittliches Novum.

Ich habe an Rußlands Beispiel gezeigt, wie der politische Anthropomorphismus wirkt. Die Menschen schaffen sich nicht nur religiös, sondern auch politisch ein Ideal der Zukunft, ein irdisches Paradies und einen Himmel, nach sich selbst, d. i. nach ihren Fähigkeiten, guten und bösen Eigenschaften, nach ihren allgemein-gebräuchlichen Sitten. Ein Stück anthropomorphistischer und soziomorphistischer Torheit haben wir jeder und alle politischen Parteien in uns. Der Anthropomorphismus ist im Grunde gewohnheitsmäßiges Tun und Denken. Die Menschen schaffen nicht leicht Neues, in den besten Fällen ändern sie das Alte, und dies möglichst wenig; nicht der schöpferische Verstand, sondern, logisch und noetisch ausgedrückt, die Analogie lenkt die große Mehrzahl der Menschen in Theorie und Praxis. Aber die richtige Philosophie und Wissenschaft verlangt für alle Gebiete, daß die Menschen denken, daß sie die umfangreichsten Erfahrungen (Induktionen) sammeln, daß sie alles, was in Gegenwart und Vergangenheit vorhanden ist, beobachten und vergleichen und daß sie ihre Schlüsse aus der Erfahrung durch weitere Erfahrungen beglaubigen, um nicht durch Folgerungen aus geringer Erfahrung, durch übereilte Folgerungen ins Reich der Phantastik zu geraten. Phantastik ist Kunst; sie unterscheidet sich so in Politik und Praxis von Einbildungskraft, von reiner Einbildung, wie Goethe sie genannt hat. Einbildungskraft ist ein sehr notwendiges Mittel richtigen und genauen Denkens. Genaue Einbildung! Der denkende und bedacht handelnde Mensch ist derjenige, der durch seine Einbildungskraft aus sich heraustreten, frei werden kann von den Verhältnissen, an die er durch Gewohnheit gefesselt ist, derjenige, der sich durch Gefühl und Gedanken in andere Menschen und andere Zeiten versenken, sich in die nationale, europäische, allmenschliche Gesamtheit versenken kann. Nur so kann man Neues schaffen und ein neuer Mensch werden; allerdings wird selbst ein solches Schaffen stets bescheiden bleiben. Wir sind keine Titanen, geschweige denn Götter.

Die bisherige Politik, und vor allem auch der Parlamentarismus, leidet überall an Anthropomorphismus; die große Mehrzahl der politisch tätigen Menschen vermag sich nicht über sich zu erheben, sich nicht aus der Umklammerung des unkritischen Egozentrismus zu befreien. Und da heute die Bürger in der Regel Mitglieder einer Partei sind, macht sich im Parlamentarismus die Parteilichkeit geltend, identifiziert man das Interesse der Gesamtheit mit dem ausschließlichen Interesse der Parteien, also einiger Personen, mitunter einer einzigen. Die Parlamente sind noch nicht die Vertretung der Nation, des Volkes, der Masse, sondern der Parteien und eigentlich von Koterien, einflußreichen und starken – ich sage nicht: führenden! – Einzelpersonen.

124.

Gegen das große Übel des politischen Anthropomorphismus erhebt die Demokratie die Forderung der politischen Bildung der Staatsbürger und Wähler.

Ich rufe nicht nach Gelehrtheit – Gott bewahre, gewiß nicht nach einseitiger und ausschließlicher Schulbildung. Schulung und Schule sind nötig, aber sie leihen allein keinen Verstand, keine Begabung und keinen politischen Sinn; gute Zeugnisse sind eine schöne Sache, aber ein gesundes und starkes Gehirn ist besser. Mehr als einmal habe ich mich gegen die – ich pflege zu sagen: – Schulmeisterpolitik geäußert: nicht nur Professoren und Lehrer, sondern auch Geistliche, Beamte und alle, die mit der Jugend und mit unselbständigen, eo ipso gehorsamen und keinen Widerstand leistenden Menschen zu tun haben, neigen, wenn sie Abgeordnete und Minister werden, in Amt und Würden gelangen, sehr oft zu absolutistischer, eigensinniger, sonderbarer, kindischer Politik. (Immer wieder der politische Anthropomorphismus!)

Vom demokratischen Gesichtspunkt aus ist die Intelligenzklasse und ihr Verhältnis zu den wirtschaftlich und ständisch bestimmten, große Massen beherrschenden Parteien ein wichtiges politisches Problem. Programmatisch ist das in hohem Maße das Problem der Bourgeoisie und des Liberalismus und ihres Verhältnisses Zum Sozialismus und Agrarismus.

Die Intelligenz ist eine ständisch nicht organisierte Klasse, das Produkt und Organ der höheren und höchsten Bildung; heute wird Bildung in den Schulen, vor allem den Hochschulen, geboten. Die Intelligenz ist die Repräsentantin der wissenschaftlichen Fächer, der Philosophie und der sogenannten allgemeinen Bildung; daher spielte sie und spielt eine beträchtliche politische Rolle, besonders ihr publizistischer Teil. Sie stand durch ihre hervorragendsten Vertreter überall gegen den Absolutismus und Theokratismus, wenn auch nicht immer im Vordergrunde der Öffentlichkeit, weil die Haltung der Intelligenz mehr erzieherisch als politisch ist. Ihr Gros, besonders das der akademischen Intelligenz, ist ziemlich konservativ, gewöhnt an ruhige und ungestörte Beschäftigung. Ihr Charakter unterscheidet sich allerdings nach den Ländern und Zeiten.

In allen demokratischen Ländern und namentlich in den aus dem Aristokratismus (Monarchismus) hervorgegangenen Republiken dringen Menschen ohne höhere Schulbildung in die Politik und die Verwaltung des Staates und des öffentlichen Lebens an führende Stellen. Wie die nötige Fachkenntnis, die Fachlichkeit in Regierung, Verwaltung und Parlament, zu wahren ist, bildet ein Problem jeder Demokratie, sobald der Schwerpunkt der politischen Macht im Parlament und daher nach dem Mehrheitsprinzip in den Parteien, vor allem in den großen, den Massenparteien liegt. Dabei darf nicht vergessen werden, daß, wie ich schon aufmerksam gemacht habe, politischer Sinn, Staatssinn und Staatskunst nicht durch administrative Übung und Schulen erworben werden. Der akademisch Gebildete und der tüchtige Beamte hinkt sehr oft, was die unerläßliche Menschenkenntnis und die praktische Fähigkeit, mit Parteien, dem Parlament und der Regierung zu verhandeln, betrifft, dem erfahrenen Organisator und Parteiführer nach. Im einen wie im andern Falle besteht die Gefahr, daß der Staat hier allzu (anthropomorphistisch) sub specie des Bureaus, dort allzu sub specie der Partei aufgefaßt wird. Die praktische Frage lautet, wie beim parlamentarischen System der Regierung und der Verwaltung die nötige Anzahl von gebildeten Fachleuten zu sichern ist.

Das Problem der Intelligenz enthält das Problem der Halbintelligenz und der Halbbildung überhaupt. Die Halbbildung als Übergangszustand unserer Übergangszeit, des Übergangs von der Demokratie zur Theokratie, ist die eigentliche Geißel der Zeit und der Gesellschaft. Auch in der Politik und namentlich in der Demokratie. (Ich habe auf das Problem in der russischen Verwaltung aufmerksam gemacht.) Daher fällt eben der Demokratie das Problem zu, wie die Halbbildung durch Bildung zu ersetzen sei.

Die Menschen begnügen sich in Theorie und Praxis bereitwillig mit Worten an Stelle von Begriffen und Dingen. Diese Regel ist allgemein, gilt überall, auch in der Politik: Havlíček kämpfte mit Recht gegen die runden Worte in der Politik.

Von dieser Rundheit ist die natürliche Neigung zu allgemeinen Begriffen zu unterscheiden, die durch die Entwicklung des Denkens bedingt wird. Deshalb haben in der Politik besonders die Parteiziele und Programme einen allgemeinen, abstrakten Charakter und sind in hohem Grade unbestimmt. Konkretes Denken ist überall noch selten, und besonders in der Politik. Kollektive Begriffe wie Nation, Menschheit, Staat, Kirche, Masse, Partei, Intelligenz, Bourgeoisie, Proletariat sind der Mehrheit der Menschen unklar, sind ungegliedert. Es bleibt nichts übrig, als die Konkretheit zu erstreben, zu versuchen, sich die Kompliziertheit des allgemeinen Begriffes möglichst konkret vorzustellen. Man muß deshalb vor Schlagworten auf der Hut sein; andererseits darf man nicht vergessen, daß man ohne Schlagworte in der Politik und im praktischen Leben nicht auskommen kann.

Auch die Gesetze sind daher allgemein, abstrakt, rahmenförmig. Sie gewinnen Gegenständlichkeit erst durch die Praxis, durch die Erfahrung. Daher die wichtige Aufgabe der Verwaltung und das Problem, in welchem Maße die ausübende Macht und die Gerichte diese Konkretisierung ausführen, resp. auch die gesetzgebende Macht innehaben sollen neben den gesetzgebenden Körperschaften. Und da sind wir abermals bei der Forderung der Bildung angelangt, der juridischen, politischen und sozialen Bildung und des soziologischen Denkens.

Daher ist die Frage des ganzen Schulwesens, der Volksbildung, der Bildung und Reform der Publizistik, der Bildung der Bureaukratie und nicht zuletzt der politischen Führer ein dringendes Problem der Demokratie. Die Frage: Aristokratismus – Demokratismus äußert sich schon lange Zeit in der Mittelschule als Streit zwischen Klassizismus und Wissenschaft; gegen den Klassizismus wird die Forderung einer mehr praktischen, wirtschaftlichen, nützlicheren Arbeitsschule erhoben. (Ich habe die sogenannte Amerikanisierung gestreift.) Dabei wird die praktische Bedeutung für die Jugend übertrieben; die Schulen haben nicht nur sachliche Bildung und möglichst viel Wissensmaterial Zu bieten, sondern müssen auch denken lehren, an Methode und wissenschaftlichen Geist gewöhnen. Darum liegt nicht daran, ob der Schüler vieles, was er gelernt hat, später vergißt; er vergißt in der Zeit des Fachstudiums und der Praxis nicht nur Latein und Griechisch, sondern auch Mathematik und andere sehr nötige und praktische Kenntnisse. Es kommt darauf an, daß er sich auf seinem besonderen Gebiet leicht orientiert. Allerdings soll die Mittelschule auch allgemeine und gleichfalls schon philosophische Bildung bieten. Das ist für die wünschenswerte Einheitlichkeit der Gesellschaft gerade vom demokratischen Gesichtspunkt aus sehr wichtig. Eine zeitgemäße und eben demokratische Forderung ist die einheitliche Mittelschule.

Die Mängel unseres Schulwesens entsprechen dem Übergangscharakter der Zeit. Alles, was ich als Uneinheitlichkeit, Zwiespältigkeit, Halbheit, geistige Anarchie der modernen Zeit ausgesetzt habe, finden wir in der niedersten und der höchsten Schule. Schon lange untersucht man mit Recht den Einfluß der Schule auf die Gesundheit, auf die Nerven; doch geht es nicht allein um physische Einflüsse, sondern ebenfalls um geistige und moralische. Einen besonderen Teil dieser Schulpathologie bildet auch das Problem der Schülerselbstmorde. In der Schule, d. i. in unseren Kindern, spielt sich der Kampf zwischen Staat und Kirche ab, der Kampf zwischen Philosophie und Theologie, der Kampf zwischen Kindern und Vätern, der Kampf um Welt- und Lebensanschauung.

Von diesem Gesichtspunkt aus muß die Forderung unserer Lehrerschaft beurteilt werden, dem öffentlichen Lehrer eine höhere akademische Bildung angedeihen zu lassen; der Lehrer, der bei seiner ermüdenden Arbeit nach höherer Selbstbildung strebt, empfindet die Unzulänglichkeit seiner Bildung selbst am peinlichsten.

125.

Die Demokratie beruht auf Öffentlichkeit, wie sich das aus dem Grundsatz von Freiheit und Gleichheit ergibt; dadurch unterscheidet sie sich von der Aristokratie. Darum erlangte die sogenannte öffentliche Meinung in neuer Zeit eine so große Wichtigkeit; die Freiheit der öffentlichen Meinung ist eine politische Freiheit, gewiß ihre Bedingung. Da das Parlament nicht beständig tagt, ist die freie öffentliche Meinung – praktisch die Journalistik und insbesondere die Tagespresse – die Fortsetzung und der Ersatz der parlamentarischen Kontrolle. (Das wird als Argument gegen den Parlamentarismus angeführt!)

Die Freiheit der Presse sichert das Recht der Kritik am ganzen staatlichen und öffentlichen Apparat und auch an Personen. Kritik ist die Voraussetzung und die Methode der Wissenschaft und der Wissenschaftlichkeit; Kritik ist die Voraussetzung und die Methode der demokratischen Politik.

Das Recht der Kritik, der Kritik auf allen Gebieten, ist ein Recht der politischen Initiative, – die Tagespresse hat wirklich das große, wenn auch nicht verbriefte Recht der allgemeinen Initiative und des Referendums; daher auch ihre große Verantwortung.

Das Verhältnis der Politik zum Journalismus ist so intim, daß beide gleichsam ineinander übergehen; aber es liegt im Interesse der Politik, sich des Unterschiedes gut bewußt zu werden. Die Zeitungen, vor allem die Tagesblätter, werden zu Kristallisationszentren von Richtungen, Fraktionen und Parteien und pflegen überdies ihre besonderen wirtschaftlichen Interessen zu haben; es fragt sich, ob und wie weit das Interesse einer Partei, einer Richtung, einer Fraktion auch das Interesse des Staates bildet. Das Verlangen nach Verbreitung des eigenen Blattes führt leicht zu Demagogie und Parteilichkeit; dazu kommt, daß in der Eile der Arbeit für den Tag, ja oft für die Minute die Genauigkeit des Urteils und der Berichterstattung zu leiden pflegt. Heute denkt man deshalb überall an Reform und Organisation der Journalistik und der Bildung der Journalisten.

Die Pflicht und das Recht der demokratischen Öffentlichkeit beseitigt die Heimlichkeit und Geheimniskrämerei, das Augurentum im weitesten Sinne des Wortes: die Entwicklung und der Fortschritt der Sittlichkeit und des ganzen öffentlichen und privaten Lebens bedeuten die Abgewöhnung von Lüge und Verlogenheit. Es wäre ein langes Kapitel, wollte man die Verlogenheit analysieren, wodurch sie bedingt wird, wie sie sich eingewurzelt hat und wie sie nach und nach durch Wahrhaftigkeit ersetzt wird; hier spielt die ganze Entwicklung der Sittlichkeit, die Entwicklung der Wissenschaft, Philosophie und Kunst mit. Das Schlagwort des literarischen und künstlerischen Realismus »Wahrheit und Wahrhaftigkeit« ist auch ein Schlagwort der Politik und erwächst aus dem selben geistigen und kulturellen Bedürfnis.

Die Wahrhaftigkeit, ich möchte sagen, die intellektuelle Reinheit der Politik und des ganzen Lebens ist nach Zeiten, Völkern, Kirchen, Ständen usw. verschieden.

Das alte aristokratische Regime kannte die Wahrhaftigkeit nicht, obgleich man gerade der Aristokratie eine besondere Ehrenhaftigkeit zuschreibt. Der staatliche und kirchliche Absolutismus beruhte auf Autorität, auf Heimlichkeit und Geheimniskrämerei und war Unterdrückung des Volkes: »die einzige Waffe des Unfreien ist der Verrat«, charakterisierte Mickiewicz die Wallenrod-Taktik als Mittel gegen den Absolutismus. Aber sich verschwören heißt, den Teufel durch Belzebub vertreiben; gegen den weltlichen und geistlichen Absolutismus ist die Freiheit der Demokratie, die demokratische Öffentlichkeit und Wahrhaftigkeit das richtige Mittel. Es ist eine bekannte Erfahrung, daß sich z. B. die Türken, verglichen mit den Christen im Orient, durch größere Ehrenhaftigkeit und Offenheit ausgezeichnet haben: der Bedrücker, der Herr, der Gewalthaber bedarf nicht der Lüge, der Waffe des Schwachen, des unterdrückten Sklaven.

Kennzeichnend ist, daß die Politik fast überall noch als die Kunst aufgefaßt wird, jemanden hereinzulegen, zu überlisten, als Schlaumeierei; auch bei uns ist diese Meinung verbreitet.

Ich erwarte von der Demokratie nicht nur in der Politik, sondern auch in der Schule und im ganzen öffentlichen und privaten Leben eine sittliche Erneuerung. Und wiederum heißt es: sich entösterreichern! Der Politiker Beaconsfield fand als Schriftsteller (Disraeli) in England zwei Völker vor, das eine sozial enterbt, das andere herrschend; nun, in jeder Nation gibt es zwei Sprachen, die Wahrhaftigkeit und die Verlogenheit, – Dostojevskij meinte für Rußland, daß man sich bis zur Wahrheit hindurchlügen könne. Ich glaube das weder für Rußland noch für uns.

Das alte Regime wird durch zwei Namen gekennzeichnet, Macchiavelli und Loyola, Zeitgenossen des Reformationsumbruchs: beiden geht es um die Eroberung und Erhaltung der Macht; zu diesem Zweck empfiehlt Macchiavelli geradezu die Gewaltsamkeit jeder Art (die Lüge eingeschlossen). Loyola unterwirft sich vollständig der Autorität des Papstes und gibt durch seine Taktik den Anlaß zur Entwicklung des Jesuitismus, der, um der Kirche Macht und Autorität zu sichern, allzu lax Kompromisse mit dem Gewissen einging und mit dem Macchiavellismus synonym wurde. Erreichung des Zweckes um jeden Preis – das ist ein Grundsatz, aus dem überall und immer die sittliche Gleichgültigkeit bei Beurteilung der Mittel geboren wird (siehe wiederum Rußland!); die Lüge ist stets leicht bei der Hand als Mittel der trockenen Gewalt, – aber es ist bekannt, daß manche Jesuiten auch vor Blut nicht zurückscheuten, wenn ihnen an der Beseitigung eines ketzerischen oder tyrannischen Herrschers gelegen war.

126.

Wenn ich für die Demokratie Bildung verlange, so verlange ich nicht einseitigen Intellektualismus (ich habe dies schon betont), sondern zugleich sittliche, durch sittliche Ideale beseelte Bildung.

Meine historische und politische Hauptthese lautet, daß die Demokratie sich aus der Theokratie entwickelt hat, die Demokratie den Gegensatz zum Aristokratismus darstellt, der am wirksamsten von der Theokratie organisiert war.

Was bedeutet das? Der primitive Mensch, der Wilde und Barbar war mit seiner natürlichen Gewalttätigkeit und egoistischen Rücksichtslosigkeit gesellschaftlich von Aristokraten (in der Regel monarchischen, absolutistischen) und Geistlichen organisiert – im höheren Stadium der Entwicklung von Staat und Kirche, die zusammenwirkten. (Kněz, im Slawischen der Geistliche, und Kníže, der Fürst). Die Religion hatte das Primat; sie beherrschte das gesamte Leben, alles Denken und Tun des Menschen, und darum waren auch Staatsleben und Politik von der Religion gelenkt. In alter Zeit bestand die Religion hauptsächlich aus dem Glauben an allerlei überirdische Wesen, die ins Menschenleben freundschaftlich oder feindselig eingriffen. Der Mensch genügte sich nicht selber, – die Furcht schuf nicht nur, wie gesagt worden ist, die Götter, sondern auch allerhand menschliche Halbgötter, Könige, Kaiser, Hierarchen und Kirchenfürsten. Im höheren Stadium der Entwicklung wurden verschiedene Priesterkollegien einheitlicher organisiert, die Kirche ersteht in gleichem Maße, wie der Polytheismus sich durch den Fortschritt des Denkens zu hierarchischer Einheit wandelt. Analog entwickeln sich die größeren Staaten. Verschiedene Formen der Theokratie bilden sich. Wenn man als Beispiel die Theokratie der Juden oder Ägypter anführt, so darf man den großen Einfluß der Religion und der Priesterschaft auch in Griechenland und in Rom nicht vergessen. In Rom war die Religion eine vorwiegend staatliche Einrichtung. Aus der Theokratie in Rom und in Griechenland entwickelte sich die mittelalterliche römische und byzantinische Theokratie; im Katholizismus erreichte sie ihren Gipfel, die Einheit ihrer Lehre und ihrer Organisation.

Durch die Reformation zerfiel die große Theokratie in kleinere Theokratien, der Staat erstarkte dadurch; in protestantischen Ländern unterstützte der Staat die Reformation, in den katholischen führte er die Gegenreformation durch, – in beiden Fällen erstarkte er, an Stelle des Kirchenabsolutismus trat der Staatsabsolutismus. Gegen ihn brachen Revolutionen aus, die bis in unsere Zeit dauerten. Durch den Übergang zu Republik und Demokratie wurde der Staat konstitutionell.

Die Demokratie steht mithin historisch und sachlich gegen die Theokratie: daher seit Jahrhunderten dieser beständige, allmähliche Prozeß der Entkirchlichung auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens, am Ende auch in der Religion.

Zu dieser Darlegung muß ich, um Mißverständnissen zuvorzukommen, eine Erklärung anscheinend der Worte hinzufügen. Das Wort Theokratie bedeutet Gottesherrschaft, aber es ist klar, daß die Theokratie praktisch und politisch eine Hierokratie war, eine Herrschaft der Priester; doch solange die Menschen fest an die Offenbarung der Gottheit glaubten, an die Lehre der Priester, an die Gotteslehre, die Theologie, waren sie davon überzeugt, daß die Gottheit über Mensch und Gesellschaft herrsche. Schon der erste große Soziolog Vico sah in der alten Zeit die Epoche der Götter und Heroen, erst auf sie sei die menschliche Epoche gefolgt; die gleiche Erkenntnis sprach Comte aus, als er die erste Zeit der Menschheit theologisch nannte, auf die nach einem Zwischenstadium der Metaphysik die wissenschaftliche neue Zeit (des Positivismus) gefolgt sei. Vicos Unterscheidung zwischen den Zeiten der Götter und Heroen und des Menschen würden wir heute durch den Gegensatz Aristokratismus – Demokratismus ausdrücken; die alte Zeit war aristokratisch, und die Grundlage allen Aristokratismus war der religiöse Aristokratismus, der Aristokratismus der Priester. Er war politisch und administrativ eine Oligarchie, der Monarchismus eine Art der Oligarchie.

Die mittelalterliche Theokratie ist gewiß das Muster und der Gipfel des gesellschaftlichen Aristokratismus und Monarchismus; die Priesterschaft ist eben eine aristokratische Institution, ein religiöser Aristokratismus, – der Priester unterscheidet sich vom Laien grundsätzlich und graduell: der Papst ist der Stellvertreter Gottes, der absolute, unfehlbare Führer der Priesterhierarchie und durch sie der Laiengesellschaft.

Die Reformation hob die Priesterherrschaft auf und untergrub dadurch den religiösen und politischen Absolutismus, obgleich sie anfangs im Kampfe gegen die Kirche den Staat gestärkt hat.

Der moderne, nachrevolutionäre Mensch wird sich besser über das Wesen der Religion klar. Er begreift vor allem den Unterschied zwischen Religion und Sittlichkeit: er verwirft nicht die Religion, unterscheidet aber in ihr Sittlichkeit und Religion und organisiert auf der Sittlichkeit sein Zusammenleben, da die Sittlichkeit – Liebe, Sympathie, Humanität – der Skepsis nicht so unterliegt wie die theologischen transzendenten Ideen, auf denen die Theokratie errichtet war. Die Entwicklung der Kirche und der Kirchen, die Entwicklung der Theologie und der Philosophie beweist, wie sich die wichtigsten religiösen Ideen gewandelt, wie sie an Kraft verloren haben, während die Grundlagen der Sittlichkeit, das reale Empfinden des Menschen zum Menschen, sich durch keinen Verstand, keine Skepsis entkräften lassen. Siehe Hume! Daher die bemerkenswerte Erscheinung, daß in neuer Zeit die Ethik in allen Ländern gepflegt und vertieft wird, von den Philosophen, den Laien, von Hume und Kant, daß sie die Grundlage der Weltanschauung und damit auch der Politik wird.

Das bedeutet nicht, daß die Religion nicht berechtigt, wünschenswert, notwendig ist; das bedeutet nur, daß der moderne Mensch eine Religion haben will, die mit dem Verstand übereinstimmt, eine freie und individuelle Religion. Die Religion verbindet mächtig die Menschen, aber diese Bindung darf nicht erzwungen, sondern muß frei sein. Der Mensch wurzelt in der Ewigkeit, aber auf Erden verknüpft ihn mit dem Nächsten am sichersten die angeborene Liebe. Darin liegt die Bedeutung des historischen Prozesses der Entkirchlichung in neuer Zeit und besonders der Trennung von Staat und Kirche und all der mannigfaltigen, unzähligen Versuche einer Formulierung des religiösen Problems und der Organisation.

Wenn ich also die Demokratie gegen die Theokratie stelle, so vergesse ich nicht, daß die Demokratie sich entwickelt hat und sich noch entwickelt und daß es daher verschiedene und mannigfache Grade der Demokratie und des Demokratismus gibt, eine mehr oder weniger republikanische Demokratie (konstitutionelle Monarchie – doch vergleiche man England mit dem ehemaligen Österreich-Ungarn!), eine nichttheokratische, entkirchlichte Demokratie. Die richtigen Elemente im ehemaligen Verhältnis des Staates zur Kirche bleiben in neuer, höherer Form in der Demokratie erhalten; die echte demokratische Politik wird sich auch sub specie aeternitatis bewähren: der geistliche Absolutismus, die verschiedenen Formen des Cäsaropapismus und der weltliche Absolutismus, die die Religion mißbraucht haben, werden durch eine höhere Sittlichkeit, Menschlichkeit und höhere Religion, die auch das ganze öffentliche Leben frei lenkt, überwunden werden – Jesus, nicht Cäsar! Ich sage damit, daß es unsere Aufgabe ist, die Religion und Ethik Jesu zu verwirklichen, seine reine und unbefleckte Religion der Menschlichkeit. In der Liebe zu Gott und zum Nächsten erblickte Jesus alles Gesetz und alle Propheten, die Grundlage der Religion und der Sittlichkeit. Alles übrige ist nebensächlich; der geistliche Absolutismus, der sich mit dem Staate in die weltliche Herrschaft teilte, war bös. Das eben war der Geist des römischen Imperiums: Cäsar legte hohen Wert auf eine nicht nur administrative, sondern auch sittliche und religiöse Reform, ebenso Augustus und seine Nachfolger, aber eine von der Politik, vom Staate diktierte Religion kann den modernen Menschen, den wahren Christen nicht mehr befriedigen. Und darum: Jesus – nicht Cäsar!

Die Reformation war ein Versuch, die Religion Jesu nach der Heiligen Schrift zu verwirklichen. Sie hob die Priesterschaft auf und untergrub dadurch den religiös-kirchlichen und infolgedessen auch politischen Aristokratismus. Die Rechte des Menschen und des Staatsbürgers wurden unter dem direkten Einfluß der Reformation kodifiziert. Ich habe in meinen früheren Arbeiten gezeigt, daß durch die Reformation die Demokratie und der Parlamentarismus positiv gestärkt wurden, die Kirchenverwaltung und ihre Laizisierung in den protestantischen Ländern bereiteten die Gläubigen zur Staatsverwaltung und durch die Erziehung zu religiöser und sittlicher Selbständigkeit und Unabhängigkeit von den Priestern auch zur politischen Verantwortung vor. Das gilt besonders vom Calvinismus, weniger vom Luthertum. In den katholischen und rechtgläubigen Ländern (Frankreich, Rußland) wurde die Demokratie nur negativ gestärkt, d. i. durch den Widerstand gegen die Kirche und den Absolutismus: diese Länder pflegen politisch und religiös radikaler und revolutionärer zu sein als die protestantischen. Dazu führt der tiefere Gegensatz der kirchlichen Lehre und Sittlichkeit zur Wissenschaft und Laienmoral der neuen Zeit.

Aus dem Unterschied zwischen Katholizismus und Protestantismus ergibt sich ein auffallender Unterschied in der Entwicklung der politischen Parteien. In England und Amerika gibt es bisher nur zwei große Parteien, aber eine große Anzahl von Kirchen und Sekten: der Individualismus und Subjektivismus ist dort religiös, kirchlich, – in den katholischen und den halbkatholischen Ländern (in Deutschland) ist die kirchliche Einheit mit Hilfe des Staates erhalten, doch der Individualismus und Subjektivismus äußert sich dafür und lebt sich in den politischen Parteien aus.

Schon in alter Zeit entwickelt sich die Zwischenstaatlichkeit und Internationalität, d. h. die Staaten regeln ihr Verhältnis zueinander durch Verträge, das internationale Recht, der organisierte Internationalismus entsteht. Im römischen Imperium zeigt sich dieser Internationalismus nur im Keime, aber in der mittelalterlichen Theokratie gewinnt er in bemerkenswerter Weise an Kraft, eben durch die Katholizität der christlichen Welt und ihre zentralistische Organisation. Durch die religiöse und politische Revolution und ihre Annahme der Menschen- und Bürgerrechte beginnt die Internationalität immer mehr und mehr rechtlich anerkannt zu werden. Im letzten Jahrhundert gibt es, wie ich schon gezeigt habe, eine ganze Reihe von internationalen wichtigen Verträgen und Institutionen; nach dem Weltkriege fährt man in dieser Richtung fort; Wilson faßte den Völkerbund als Hauptteil des Friedens auf. Das internationale Recht ist eine Frucht der neuen Zeit. (Die historischen Beweise für diese Behauptungen findet der Leser in Jellineks Schrift über den Staat. Ich bemerke, daß bei Jellinek, dem Juristen und Staatswissenschaftler, sehr oft die vereinheitlichende Idee fehlt, doch ist sie, sachlich und methodisch, durch die Erfassung der Theokratie, ihrer Entwicklung und Abwicklung, der allmählichen Entkirchlichung des Staates, des Rechtes und überhaupt der modernen Kultur gegeben.) Der demokratische Staat ist ein neuer Staat. Die Staatswissenschaftler definieren und charakterisieren den neuen Staat verschiedentlich; man sagt, er sei konstitutionell (der Konstitutionismus erreichte verschiedene Grade), juristisch, bureaukratisch, wirtschaftlich, kulturell; alle Definitionen haben etwas Richtiges an sich. Aber der demokratische Staat ist deshalb ein neuer Staat, weil all sein Zweck und seine Organisation auf einer neuen Weltanschauung, auf der nichttheokratischen Anschauung beruht. Das ist ein Novum. Der neuzeitliche Staat übernahm die Funktionen der Theokratie, vor allem der Kirche, und darum ist er ein neuer Staat; der alte Staat machte sich keine Sorgen um Schule und Bildung, die Kirche leitete und verwaltete die ganze Erziehung der Gesellschaft, während der neue Staat sich Schritt für Schritt des gesamten Schulwesens annahm. Da infolge der Reformation, des Humanismus und der Renaissance eine neue Laienethik und -moral entstand, übernahm der Staat von der Kirche auch die Philanthrophie und verwandelte sie in soziale Gesetzgebung. Gegen den neuen Staat war der alte sehr wenig: ich möchte sagen, daß er nicht dachte, – es dachte die Kirche. Wenn die Philosophie (Scholastik) unter der Theokratie die ancilla theologiae war, so war der alte (mittelalterliche) Staat der servus ecclesiae. Infolge der Entkirchlichung mußte der Staat zu denken anfangen; er nahm sich der Funktionen der Kirche an, erweiterte und vermehrte sie. Und darum ist er ein neuer, demokratischer Staat.

127.

Ich kenne die Überlegenheit, mit der die Politiker, namentlich diejenigen, die sich für sehr praktisch und real halten, auf die Forderung der sittlichen Grundlage von Staat und Kirche herabsehen.

Bei der Besprechung der Demokratie in Amerika habe ich Tocqueville erwähnt, der in seinem Buche über die amerikanische Demokratie auch für die Gegenwart die religiöse Grundlage der amerikanischen Republik und dadurch eben ihre sittliche Grundlage hervorhebt: mit Recht – die geschriebene Verfassung, das Parlament, die Bureaukratie, die Polizei, die Armee, die Industrie und der Handel, sie alle verbürgen nicht die Demokratie, und kein Staat verbürgt sie, wenn die sittliche Wahrhaftigkeit seiner Bürger und ihre Übereinstimmung wenigstens in den wichtigsten Welt- und Lebensanschauungen fehlen. Bei der Überschätzung der staatlichen Organisation, der materiellen und wirtschaftlichen Grundlage des Staates und der Gesellschaft vergißt man leicht, daß die Gesellschaft immer und überall auch auf Ideen und Idealen, auf Sittlichkeit und Weltanschauung beruht hat. Deshalb stützte sich der Staat seit Beginn der geschichtlichen Entwicklung überall auf die sittliche Autorität der Kirche, und daher stammt ja gerade die Theokratie und ihre Entwicklung zur Demokratie.

Was uns betrifft, so müssen wir uns wohl bewußt werden, was es bedeutet, einen neuen Staat aufzubauen. Wir hatten schon längst unsere Dynastie verloren, hatten keinen Staat und keine Armee mehr, der Adel und die Kirche waren dem Volke entfremdet, wir besaßen kein Parlament (die Landtage waren ein schwacher Ersatz), – durch welche Institutionen, welche politischen Ideen ersetzen wir diesen Mangel an politischer und staatlicher Tradition und Autorität, wenn wir unseren erneuerten Staat organisieren? Genügen zur Gründung und Erhaltung eines republikanischen, demokratischen Staates die Bureaukratie und die Polizei, genügt überhaupt die zwingende Macht? Genügt ein Parlament, das parteilich und national gespalten ist? In Österreich-Ungarn hatte der Monarch die alte theokratische Tradition und war durch den Glauben an die Gnade Gottes geheiligt (er nannte sich direkt so), die Kirche zitierte für seine und seines Staates Autorität das Gebot des Paulus, die Bureaukratie, der Adel und die Armee waren im selben Geiste der Loyalität erzogen – – wie beschaffen ist die Autorität unserer jungen Republik? Welche Gründe bestehen für ihre Anerkennung durch die eigenen Bürger und die fremden Nationen und Staaten?

Im ersten Augenblick der allgemeinen Begeisterung über die Eroberung der Selbständigkeit ordneten sich alle Bürger aller Parteien und Richtungen der revolutionären Autorität daheim und im Auslande unter: was geschieht, bis die Werkeltage anbrechen?

Ich unterschätze nicht die äußere Autorität des Staates, ich stimme da mit unserem Chelcický nicht überein, doch kann ich den Staat und seine Macht nicht überschätzen, nicht vergöttern; als ich mich dem Amte des Präsidenten verpflichtete, war ich mir meiner näheren täglichen Aufgaben in der Verwaltung des Staates bewußt, aber ich war mir auch klar darüber, daß Staat und Politik ohne sittliche Grundlage nicht bestehen können. »... dieweil wir ein solch Amt haben, nach dem uns Barmherzigkeit widerfahren ist, so werden wir nicht müde, sondern meiden auch heimliche Schande, und gehen nicht mit Schalkheit um, fälschen auch nicht Gottes Wort, sondern mit Offenbarung der Wahrheit beweisen wir uns wohl an aller Menschen Gewissen vor Gott.« (II. Kor. 4,1/2.) – Das ist das Programm der Republik und Demokratie sub specie aeternitatis.

Die sittliche Grundlage aller Politik ist die Humanität – und die Humanität ist ein internationales Programm.

Humanität ist ein neues Wort für das ältere Wort Nächstenliebe. Das Wort Liebe wird heute unter dem Einfluß der Literatur hauptsächlich für die wichtige Frage des Verhältnisses der beiden Geschlechter zueinander benützt, der moderne Mensch scheut irgendwie davor zurück, den Begriff der offiziellen Religion zu benützen. Deshalb bürgerte sich in der Philosophie, schon allgemein im 18. Jahrhundert, das Wort Humanität oder Sympathie, später Altruismus ein. Dazu führte der vorangegangene Humanismus und sein Ideal der Humanität. (Es gibt einen Unterschied zwischen Humanismus und Humanitismus!) In Wirklichkeit ist die Humanität nichts als Nächstenliebe, aber der Grundsatz ist gemäß den neuen Verhältnissen, vor allem auch den politischen und sozialen, formuliert.

Der Humanitismus ist kein Sentimentalismus; auch Jesus verlangt, den Nächsten wie sich selbst zu lieben. Der Mensch ist gewiß von Natur aus ein Egoist; aber man fragt sich, ob er nur ein Egoist ist oder ob er für den Nächsten auch ein Gefühl der Sympathie oder Liebe empfindet, und zwar ein unmittelbares, direktes Gefühl, nicht wieder eines aus egoistischen Gründen. Die psychologische Analyse belehrt mich, daß der Mensch zum Nächsten unmittelbare, uneigennützige, unegoistische Liebe empfindet. (Ich habe Humes Ethik übersetzt, gerade sie zur Stärkung dieser Erkenntnis.) Der Egoismus ist vielleicht stärker; daraus ergibt sich die Forderung, die angeborene Liebe zu den Menschen bewußt zu kräftigen und zu veredeln. Die Erfahrung lehrt uns, daß die Liebe zu den Menschen sich am Ende bezahlt macht (ein egoistischer Grund); die Liebe und die daraus sich ergebende Gesellschaftsordnung des Normalmenschen befriedigt am besten.

Das Gebot der Liebe besagt nicht, daß wir den Egoismus vollständig unterdrücken sollen. Aber so wie wir die Liebe pflegen müssen, so müssen wir den Egoismus pflegen; denn es gibt einen Unterschied zwischen Egoismus und Egoismus; es gibt nicht nur einen klugen und weisen Egoismus, sondern auch einen törichten und sehr törichten, der den Menschen nicht weniger, sondern mehr schadet, als törichte Humanität. Bloße Schlauheit lohnt sich am Ende nicht.

Es ist ganz unrichtig zu behaupten, daß der Humanitismus in lauter Gefühlen und Empfindlichkeiten ertrinkt; der Humanitismus erfordert im Gegenteil Vernünftigkeit, praktische Begabung. Indem ich – wie ich schon oft genug gesagt habe! – die Bedeutung und in gewissem Sinne auch den Vorrang des Gefühles anerkenne, betone ich die Vernünftigkeit und verlange Bildung, Aufklärung, Wissenschaft und Gelehrtheit. Ich verlange mit Dante: Luce intelettual piena d'amore. Die Engländer und Amerikaner sagen: »Liebe mich ein wenig, aber lange« – eine hübsche, praktische Lehre.

Man hat auch gesagt, daß wir auch den Feind lieben sollen, und viele erblicken in diesem Gebot den eigentlichen Sinn der Nächstenliebe. Gewiß kann man den Feind lieben; solange die Menschen nicht zu dieser sittlichen Höhe emporwachsen, werden sie sich an das praktische und menschliche Gebot halten, gegen den Feind gerecht zu sein.

Der Begriff des Egoismus ist vielen ziemlich unklar. Wenn jemand sich um sich und vor allem um sich, seine Familie, die ihm nahestehenden Menschen, sein Volk kümmert, so ist das nicht immer Egoismus; wirksame Arbeit ist am möglichsten dort, wo sich eben die Energie am leichtesten und beständig durchsetzen kann. Sich selbst hat man, wenn ich so sagen kann, stets bei sich und kann für sich und an sich selbst arbeiten. Deshalb nützen sich die Menschen nicht bloß am meisten, sondern schaden sich auch. Deshalb wird ein vernünftiger Mensch für diejenigen arbeiten, die er durch seinen Einfluß erreicht – die Liebe muß Arbeit für den Geliebten sein; sentimentales Herumschweifen in der ganzen Welt ist keine Humanität, im Gegenteil, Energie, die aus Begabung entspringt, Fachkundigkeit, Besessenheit durch eine Idee – der Eros des Plato – sind kein Egoismus.

Wer ist unser Nächster? Schon die Juden hatten das Gebot, den Nächsten zu lieben, aber sie verstanden darunter den Landsmann – Jesus und seine Anhänger haben den Begriff auch auf die andersstämmigen Menschen erweitert. Im Mittelalter kräftigt sich, wie soeben gezeigt wurde, und dann in der neuen Zeit im Sinne der Humanität die Zwischenstaatlichkeit und Internationalität, wir nehmen den humanitären Grundsatz nicht allein intensiv (ethisch), sondern auch extensiv (politisch und rechtlich) an, das ist: bei aller Liebe zum eigenen Volke verurteilen wir den nationalen Chauvinismus und halten das Ideal der Zwischenstaatlichkeit und Internationalität aufrecht, das Bestreben, Europa, die ganze Menschheit möglichst einheitlich zu organisieren. Wir verlangen Weltpolitik. Die Internationalität fassen wir nicht national, antinational, übernational auf; wir werden doch nicht in unwirksamer Liebe zu einem Volke irgendwo hinten in Asien zerfließen – die Menschheit ist uns kein abstrakter, sondern ein konkreter, praktischer Begriff. Das bedeutet, daß es keine Internationalität ohne Nationalität gibt und geben kann, die Menschheit ist eine Organisation von Nationen. Ich habe schon gesagt und wiederhole: je nationaler, desto menschlicher, je menschlicher, desto nationaler; Humanität fordert positive Liebe zu Volk und Vaterland, sie verwirft den Haß gegen andere Nationen.

Humanität ist nicht identisch mit Pazifismus um jeden Preis, mit passivem Pazifismus. Der Verteidigungskrieg ist sittlich erlaubt und notwendig; Humanität schließt nur den Angriffskrieg aus, sie ist gegen die Gewalt; aber Humanität ist nicht für Passivität, sondern im Gegenteil, für Aktivität, für möglichst wirksame Energie – Humanität soll nicht bloß ein Wort und auf dem Papier sein, sondern Tat und beständige Tat.

Es ist schließlich unrichtig, zwischen großer und kleiner Moral so zu unterscheiden, als ob der Politiker sich im Interesse des Staates um die sittlichen Vorschriften nicht kümmern müsse und solle. Die Sache ist in Wirklichkeit so, daß ein Mensch, der z. B. im politischen Leben lügt und betrügt, auch im privaten Leben lügt und betrügt, und umgekehrt; nur ein anständiger Mensch wird immer und in allem anständig sein. Havliček hat richtig geurteilt, als er zwischen privater und politischer Moral keinen Unterschied machte. Ohne allgemeine Anerkennung der sittlichen Grundlagen von Staat und Politik kann man keinen Staat, keine gesellschaftliche Organisation verwalten; kein Staat wird sich erhalten, der die allmenschlichen Grundlagen der Sittlichkeit verletzt. Staat und Gesetz schöpfen ihre Autorität aus der allgemeinen Anerkennung der sittlichen Prinzipien und aus der allgemeinen Übereinstimmung der Staatsbürger in den wichtigsten Lebens- und Weltanschauungen. Ich wiederhole und betone: Die Demokratie ist nicht nur eine staatliche und administrative Form, sondern eine Lebens- und Weltanschauung.

Die Grundlage des Staates ist, das haben schon Griechen und Römer verkündet, die Gerechtigkeit, und die Gerechtigkeit ist die Arithmetik der Liebe. Der Staat erweitert durch das gepflogene und geschriebene Gesetz das Gebot der Liebe allmählich auf alle praktischen Verhältnisse des gesellschaftlichen Zusammenlebens und erzwingt nach Bedarf seine Verwirklichung durch die Macht (nicht durch Gewalt! wie bei der Analyse der deutsch-preußischen Rechtsanschauung gezeigt worden ist). Daher stammt der alte Streit um den Wert von Sittlichkeit und Gesetz, – das Gesetz, das Recht hat, obgleich sittliches Minimum, durch seine Bestimmtheit und praktische Eignung so große Wichtigkeit. Der Staat verwirklicht das ethische Maximum – das Ideal – praktisch durch das ethische Minimum, das Recht: aber dieses Minimum nähert sich durch die Entwicklung der Menschheit immer mehr dem Ideal.

Griechen und Römer erblickten die sittliche Grundlage allen Rechtes im Naturrecht; diese Lehre wurde von der mittelalterlichen Kirche gemäß dem theokratischen Grundsatz vertieft. Durch den Fall der Theokratie in neuer Zeit wurde die Lehre vom Naturrecht nicht aufgehoben, aber verändert. Wir formulieren heute das sogenannte Naturrecht ethisch, humanitär, nicht religiös wie das Mittelalter und die Griechen. (Schon Herakleitos sagt, daß Menschenrecht durch Gottesrecht lebe).

Für den Kenner der Probleme und Streitfragen in der Philosophie und der Rechtswissenschaft formuliere ich meine Ansicht dahin kurz, daß das ethische Prinzip nicht formal, sondern sachlich bestimmt werden kann. Der kategorische Imperativ Kants z. B, ist unrichtig. Dieser Standpunkt hat auch für die Politik, die Staatswissenschaft und das Recht seine grundsätzliche Wichtigkeit; ich lehne alle Versuche ab, Staat, Gesetz, Recht und Politik von der Ethik in dem Sinne loszulösen, daß Staat und Recht ihren Ursprung, ihre Rechtfertigung und ihr ausserethisches und unethisches Ziel in irgendeiner Notwendigkeit und Absolutheit haben, die aus dem bloßen gesellschaftlichen Zusammenleben entspringt. Begrifflich muß man Sittlichkeit und Recht (Gesetz) allerdings unterscheiden und trennen, und der Unterschied ist auch durch die historische Entwicklung gegeben; soweit die Sittlichkeit religiös sanktioniert war und ist, indem sie eben einen wesentlichen Bestandteil der Religion darstellt, wird auch das Recht (das Gesetz) durch die Trennung von Staat und Kirche und die Verselbständigung des Staates selbständig. Die Juristen pflegen die Gründe dieser Selbständigkeit des Staates und seiner Gesetze in irgendwelchen unethischen Prinzipien zu suchen, da sie sich nicht bewußt sind, daß sie immer noch mit alten theokratischen Begriffen operieren, die nur eine neue Formulierung erhalten haben. Ich stehe hier bewußt im Gegensatz zu den neuzeitlichen Versuchen, die Sanktion von Staat und Recht in irgendeinem normativen, nichtethischen Prinzip festzusetzen; die methodische Forderung »entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem« gilt auch für Staats- und Rechtswissenschaft: der Staat ist die Organisation eines naturgegebenen Zusammenwirkens. Ich erblicke gerade darin die Reste des Theokratismus, der auf eine fiktive begriffliche Entität reduziert wird durch juristische Abstraktion und eine Scholastik, die bisher nach dem Muster der Theologie arbeiten.

128.

Wenn wir über die Grundlagen von Staat und Politik sprechen, mag auf den Zusammenhang von Staat und Kirche mit Kunst und Ästhetik hingewiesen werden; über das Verhältnis des Wahren, Guten und Schönen werden in der Philosophie längst abstrakte Betrachtungen angestellt, doch uns interessiert das konkretere Verhältnis des Schönen zum politischen Guten. Ist Sittlichkeit die Grundlage der Politik, so berührt die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Schönheit und Sittlichkeit (dem Guten) auch die Politik.

Die Einrichtung der Gesellschaft wird auch künstlerisch, ästhetisch beurteilt; man pflegt bildlich nicht nur von Staatsapparat oder Staatsmaschinerie zu sprechen, sondern auch vom Bau und von der Architektur des Staates usw. Die Forderung politischer und sozialer Harmonie birgt ein künstlerisches Element in sich. Dostojevskij geißelt mit Recht Ivans ästhetischen Widerwillen gegen Elend und Armut, aber seine Satire trifft de facto nur die Einseitigkeit und die Übertreibung.

Über ein Gebiet der Kunst und Schönheit und seinen Zusammenhang mit der Politik haben bereits die Griechen konkrete Betrachtungen angestellt: über die Redekunst in der Politik. Ein guter Redner wird bisher ziemlich allgemein für einen guten Politiker gehalten: wenn Beredsamkeit und rhethorische Kunst sich mehr mit Demagogie als mit Politik verbinden, so dürfen wir nicht vergessen, daß auch Demagogie Politik ist; wo beginnt Demagogie und wo hört Politik auf? Und wenn wiederum schon die Griechen Demagogie von Demokratie nicht genau unterschieden und wenn der Demokratie bisher Demagogie vorgeworfen wird, so möchte ich wissen, ob die Könige und die Kaiser von Gottes Gnaden sich dieser Demagogie nicht gleichfalls bedient haben.

Es gibt Schriften genug, die sich mit Demagogie beschäftigen, aber die Autoren hängen zumeist allzu sehr an den überkommenen aristokratischen Formen und verurteilen die gesunde Volkstümlichkeit, die sich in politischer Agitation und in der Redeweise äußert. Ich habe selbst die Vorurteile des Intellektuellen, der an den akademischen und theokratischen Kothurn gewöhnt ist, in mir überwinden müssen. Ich forschte in der Geschichte der politischen Redekunst nach und fand, daß insbesondere die französische Revolution den gesprochenen und geschriebenen politischen Stil vermenschlicht hat. Es kamen Übertreibungen vor, doch auf beiden Seiten. Mich interessierten auch die Prediger und die verschiedenen Arten von Predigten; ich stieß u. a. (Santa Clara stammt aus älterer, derber Zeit) auf den Londoner Prediger Spurgeon; seine Gegner nannten ihn einen Demagogen, aber er richtete sich nach dem Grundsatz, daß er sich ohne Scheu in der Kirche auf den Kopf stellen wolle, wenn er damit nur eine Seele gewinne. Eine gewiß gefährliche Regel, doch auch das Problem der Demokratie ist ein Problem, wie wahre und, sagen wir, edle Menschlichkeit in der Politik und der Staatsverwaltung durchzusetzen sei; ein stärkeres Wort an richtiger Stelle und zur rechten Zeit schreckt nur nervöse, dekadente Ästheten ab. Ein gutes Wort, heißt es, ist auch eine Tat – wie denn auch nicht! Was ist denn die ganze Literatur i Das gute Wort kann gar nicht verloren gehen, es ist, als unterliege es dem Gesetz der Erhaltung der Energie – Plato, Jesus und all die großen geistigen Führer sprechen stets zu uns ...

Die Gedanken der Staatsmänner und vor allem der Gesetzgeber müssen durch treffende Worte ausgedrückt sein; der politische, gesetzgeberische, militärische Stil hat große Wichtigkeit, und da hilft die Kunst der Politik sehr ausgiebig. Ich vergesse dabei keineswegs die Bureaukratie, – ein guter Schliff der bureaukratischen Sprache wird nicht nur vom grammatischen, sondern auch vom ästhetischen Standpunkt eine sehr wertvolle Bereicherung der demokratischen Politik und Verwaltung sein. Besonders bei uns!

Hierher gehört auch die künstlerische Gestaltung des demokratischen Staatssymbolismus und Zeremoniells. Das ist ein sehr wichtiges Kapitel, das viel zu denken gibt! Wie soll man z. B. die Prager Burg, einen rein monarchischen Bau, in ein demokratisches Gebäude verwandeln; da ist über einen demokratischen Garten und Park usw. nachzudenken, lauter Probleme, die die besten künstlerischen Köpfe interessieren sollten. Die Zeremonie ist der optische und überhaupt sinnfällige Ausdruck einer Idee und hat eben dadurch große lehrhafte und erzieherische Bedeutung.

Mich hat seit jeher der Zusammenhang von Politik, Staatskunst und Poesie interessiert (ich verweise darauf, was ich über die Versammlung mit Paderewski erzählt habe), die Dichter sind bei allen Nationen die Schöpfer und Hüter der nationalen und auch politischen Ideale. Ich für meine Person habe wenigstens bewußt durch die beste Poesie meine Einbildungskraft verfeinert und als Anhänger des künstlerischen Realismus nach der exakten Phantasie Goethes gestrebt. Ohne Einbildungskraft (Phantasie, nicht Phantastik!) ist keine großzügige, weltumfassende Politik und keine schöpferische Politik möglich; der Staatsmann ist wie der Dichter ποιητής – Schaffender, Schöpfer.

129.

Die echte Demokratie verlangt von jedem Bürger das lebendige Interesse an den öffentlichen Dingen und am Staate; wie die Kirche von den Gläubigen lebendigen Glauben verlangt, so verlangt der demokratische Staat von den Bürgern das lebendige politische Interesse. Im alten Österreich haben wir alle, der eine mehr, der andere weniger, den Staat bekämpft und uns am Ende mit der Resolution zufrieden gegeben: »Die k. k. Regierung wird aufgefordert« usw. Das heißt, wir haben die Verwaltung des Staates unseren Herren überlassen und uns untereinander lustig gezankt, eine Partei hat mit der andern gestritten. Deren, die daran dachten, Volk und Parteien trotz der Opposition zu richtiger Staatlichkeit und aktiver Teilnahme am Staatsleben zu erziehen, gab es wenige; die Beteiligung an der Regierung wurde als Verrat betrachtet, weil wir im Staate unseren Feind gesehen haben. Jetzt haben wir unseren Staat: haben wir für ihn Menschen und Parteien genug mit dem nötigen Staatsbewußtseins? Haben wir Menschen genug, die ein lebendiges, sachliches Interesse am Staate haben, sich von der Verneinung des Staates befreien können, an die sie sich in Österreich gewöhnt haben, die einen neuen Staat und seine Verwaltung positiv zu erschaffen vermögen? (Immer wieder der Fall des gefährlichen Anthropomorphismus!)

Im alten Staate wurde die Anerkennung des Absolutismus der herrschenden Aristokratie und Bureaukratie verlangt, der Gehorsam des Volkes; die Demokratie verlangt Interesse und Sinn für Verwaltung und Politik des Staates von allen Staatsbürgern. In der Demokratie ist nicht einer, sondern jeder und alle der Staat; Staatssinn bedeutet Interesse nicht nur für sich und einen engen Kreis, bedeutet den Verzicht auf politischen Indifferentismus, der im absolutistischen Staate so verbreitet war und sozusagen sein Wesen bildet. Ohne dieses Interesse für den Staat wird die Republik de facto ein aristokratischer, bureaukratischer Staat, der Staat einer Minderheit, – die Form allein entscheidet nicht über das Wesen des Staates.

Die Demokratie ist in ihrem Wesen gegen jeglichen Anarchismus (Astatismus), ob es nun Anarchismus aus politischem Radikalismus oder aus politischer Antipathie sei. Auch der Anarchismus vieler anständigen Menschen wie derjenige Tolstojs ist eigentlich ein Kind des Absolutismus, der die Menschen von der Politik und dem Staate abgebracht hat.

Den Unterschied zwischen Anarchismus und Demokratismus müssen wir uns gut klar machen.

Der Anarchismus tritt gegen die Demokratie im Namen der Freiheit, dieser Grundidee der Demokratie, auf; die Einen beweisen, der Staat sei eine vorübergehende Einrichtung, zu Beginn der geschichtlichen Entwicklung habe es keinen Staat gegeben, er sei später entstanden und werde wieder verschwinden. Diese Anschauung wurde von Marx und Engels eingehender durchgearbeitet, und gegenwärtig spielen die Kommunisten sie gegen die die Sozialdemokratie aus. Andere verwerfen den Staat in jeder Form, da er eo ipso unnatürlich und gewaltsam sei, die Freiheit unterdrücke. Hierher gehört der Anarchismus aus überspanntem, in Solipsismus gesteigertem Individualismus, – der Staat steht dem Titan im Wege, er ist des Titans unwürdig. Es gibt ferner einen, wie man sagt, religiösen, ethischen Anarchismus: den Anarchismus Chelčickýs, Tolstojs.

Gegen den Anarchismus in allen Formen verteidige ich konsequent die Demokratie. Jeder Mensch sehnt sich ganz natürlich nach Freiheit, und der Staat soll diese Sehnsucht achten; aber ich schöpfe aus der Geschichte die Erkenntnis, daß die Gesellschaft immer staatlich organisiert war. Das gesellschaftliche Zusammenleben und Zusammenwirken waren stets organisiert; die Einzelmenschen waren immer und sind, mehr oder weniger bewußt, als Gesamtheit untereinander irgendwie verbunden. Diese Organisation kann entweder durch Gewalt (aus Herrschsucht usw.) vollzogen werden oder durch gegenseitiges Einvernehmen aus gesellschaftlichem Bedürfnis, Sympathie und vernünftiger Erwägung. Die Geschichte lehrt uns, daß die Organisation der Gesellschaft in älteren Zeiten in hohem Maße aus der Herrschsucht und Gewalt starker und geschickter Führer entstanden ist, daß die Staaten militärischen Charakter hatten, daß die Armee Keim und Stütze des Staates war; aber nicht ganz, – selbst die primitiven Staaten entstanden auch aus sittlichen und Verstandesgründen. Zu Beginn gab es keinen Rousseauschen Gesellschaftsvertrag, es sei denn im Keime; erst nachträglich vervollkommnete er sich durch die Entwicklung der Bildung. Gegen die Ansicht, der Staat sei nur aus Gewalt entstanden, spricht auch der religiöse Einfluß gleich auf der primitiven Stufe der Gesellschaft; diese Gesellschaft war, wenn auch primitiv, theokratisch organisiert. Eine noch so primitive Religion enthält ein sittliches Element. Die ursprüngliche Gesellschaft war keine Demokratie, sondern Aristokratie und monarchischer Absolutismus; aber ein einziger Führer würde, und wäre er noch so stark, niemals allein und nur aus eigener Macht einen Staat schaffen, wenn die gesellschaftliche Gesamtheit ihm nicht irgendwie zustimmte. Es wäre ein Fehler, Ursprung und Wesen des Staates unangemessen zu idealisieren, wie es viele seiner Verteidiger bisher tun.

Hier will ich noch daran erinnern, daß ich auch die sogenannte patriarchalische Theorie ablehne, als sei der Staat als natürliche Erweiterung der Familie entstanden und sei dadurch eo ipso berechtigt und gut. Diese Theorie wird häufig von slawischen Politikern und Theoretikern vertreten. Der Staat hat mit der Familie nichts Gemeinsames, er ist aus anderen Kräften entstanden als die Familie: der Staat ist nur ein Organisator des gesellschaftlichen Zusammenlebens, und das ist im Wesen etwas anderes als das Zusammenleben der Familie. Neue Studien an primitiven Völkern bestätigen diese Anschauung sehr überzeugend. Schon Aristoteles sagt, der Mensch sei von Natur aus ein politisches Geschöpf: unter den Kräften, die diese »Natürlichkeit« geschaffen haben und mit der von Theoretikern ex post der Staat erklärt wird, waren seit Anbeginn auch Verstandeserwägungen.

Der Staat und sein Entstehen ändert sich je nach Zeit und Umständen, und es ändern sich auch die Funktionen des Staates. Manchmal reißt z. B. ein Stand oder eine Gesellschaftsklasse die Macht an sich und nützt den Staat für ihre Zwecke aus; ein anderes Mal beschäftigen speziell wirtschaftliche oder kulturelle Verhältnisse am meisten die Staatsverwaltung und geben ihr das Gepräge. Immer trachtet sich der Staat, in concreto die den Staat verwaltenden Personen auf die mächtigen und mächtigsten Gesellschaftskräfte zu stützen: auf Religion, Wissenschaft, die Finanzen usw. Mitunter geschieht es auch, daß eine starke Persönlichkeit sich die Staatsmacht aneignet. Das alles ist Mißbrauch des Staates. Überhaupt ist die Geschichte des Staates ein Beweis für seine Unvollkommenheit, doch daraus folgt nicht der Anarchismus (Astatismus), wie z. B. aus der Unvollkommenheit des Schulwesens nicht der Analphabetismus folgt. Das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen ist nicht möglich, wenn es keine zentrale, zentralisierende und kontrollierende Autorität gibt; will das jemand anders benennen als mit dem Worte Staat, so mag er das tun, aber das ist dann eine Frage der Philologie, nicht der Sache: ich weiß, daß die Philologie – die runden Worte – in der Politik eine große Rolle spielen!

Eine gewisse Neigung zum Anarchismus entwickelte sich bei uns dadurch, daß wir, da wir keinen eigenen Staat besaßen, uns national organisiert und die Nation über und vor den Staat gestellt haben. Aus Kollár klingt Herders Ansicht heraus, der Staat sei eine künstliche, die Nation eine natürliche Organisation. Darin liegt insofern viel Wahrheit, als die staatliche Organisation enger ist und nicht alles Leben einer jeden Nation umfaßt und umfassen kann, obgleich sie die zentralisierende Kontrolle des ganzen nationalen Lebens zu erlangen trachtet.

Der Staat, auch der demokratische Staat, ist keine göttliche, allwissende und allvermögende Einrichtung, wie Hegel sich das vorgestellt hat; er ist eine menschliche Einrichtung, mitunter eine sehr menschliche, mit allen Schwächen, doch auch Vollkommenheiten der Menschen, die ihn organisiert haben und ihn leiten. Der Staat ist nicht so schlecht und unvernünftig, wie die Anarchisten es sagen, doch ist er auch nicht so schön und gut, wie die Offiziösen ihn preisen, – im Ganzen ist er verhältnismäßig nicht schlimmer als andere Menschenwerke. Er ist notwendig.

Dasselbe gilt von den Gesetzen. Das Gesetz ist die Kodifizierung der Regeln der Staatsverwaltung. In dieser Verwaltung ist vieles, was sich einfach aus der Staatsmaschinerie ergibt, rein technisch. Aber das Gesetz hat auch sittliche Bedeutung, überall wird vom Staat und von seinem Gesetz Gerechtigkeit und Recht verlangt. Das Recht hat seine Grundlage, seine Sicherheit und seinen Schutz in der Sittlichkeit, d. i. in der Humanität, in der Menschlichkeit. Ich lehne die pangermanistische Lehre ab, das Recht sei durch die Macht geschaffen worden, wenn der Begriff Macht mit dem Begriff Gewalt identifiziert wird.

Wird vom demokratischen Standpunkt aus vom Staate so wenig wie möglich verlangt, so akzeptiere ich das in dem Sinne, daß die Demokratie ihrem Wesen nach von jedem Staatsbürger Sinn für Staat, Verwaltung, Gesetz erwartet. Die Demokratie beruht auf Individualismus, aber dieser bedeutet nicht Willkür, sondern das Streben nach starker Individualisierung nicht nur seiner selbst, sondern auch der anderen Staatsbürger. Die Demokratie ist Selbstverwaltung, und sich selbst verwalten heißt sich selbst in der Gewalt haben, – die Selbstverwaltung beginnt bei sich. Blicken wir nach England: warum besteht dort eine verhältnismäßig anständige Demokratie trotz Aristokratie und Monarchie? Darum, weil die Staatsbürger Interesse am Staate haben, administrativ und politisch nicht gleichgültig sind, weil sie einen starken Individualismus entfalten. Ich habe darauf hingewiesen, daß sich dieser Individualismus kirchlich und religiös entwickelt hat. Der englische Bürger hilft sich nach Möglichkeit selbst, und daher hilft ihm auch der Staat; der englische Bürger ruft nicht bei jeder Kleinigkeit und Dummheit nach der Polizei. In England ist Autonomie Selbstverwaltung, Selbstbewältigung.

Die Demokratie ist nur bei diesem allgemeinen lebendigen Interesse am Staat, seiner Entwicklung und fortwährenden Vervollkommnung möglich; die Demokratie ist das Naturrecht der Initiative auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, ob nun das Recht formell Gesetz geworden ist oder nicht. Im freien Staate ist es dies de facto.

Oft wird jetzt das Organisieren als vorwiegend politische und staatsschöpferische Tätigkeit empfohlen; das ist richtig, aber auch das kann übertrieben werden. Ich glaube z. B., daß unsere Nachbarn, die Deutschen, sich überorganisiert haben; jede Organisation, ob sie nun staatlich, sozial oder religiös ist, wird durch die Gewohnheit zur mechanischen Form. Wir brauchen lebendige Organisationen. Woher sie nehmen, wenn wir nicht selbst lebendig sein werden? Und Leben ist beständige Wandlung, beständiges Wachsen. Eine lebendige Organisation werden schaffende, schöpferische Menschen haben, – Neues muß geschaffen werden, stets Neues auch im gesellschaftlichen und staatlichen Leben.

130.

Die Demokratie ist durch die Revolution und die Revolutionen entstanden; unsere Republik und Demokratie entstand gleichfalls so; die Revolution ist berechtigt als notwendige Abwehr, und ihre Notwendigkeit tritt ein, wenn alle anderen Mittel erschöpft sind. Von der Revolution gilt, was vom Kriege gilt: die Verteidigung ist sittlich erlaubt. Die Revolution ist erlaubt, wenn, wie eben während des Weltkrieges, das administrative und politische Chaos droht: sie ist berechtigt, wenn sie Reform, Vervollkommnung ist. Doch die Demokratie bedeutet nicht Revolution in Permanenz. Der Weltkrieg und die durch ihn hervorgerufenen Revolutionen reizten die revolutionäre Phantasie auf; aber die Kriegs- und Revolutionserregung verstummt notwendigerweise, die Menschen müssen zu friedlicher und beständiger Arbeit übergehen, und das gelingt vielen nicht leicht. Gewiß ist Revolution kein Putschismus. Der politische und soziale Utopismus hat die Forderungen, die an den Staat gestellt werden, so abnormal gesteigert, als wäre er allmächtig und allwissend; daher bei vielen die Enttäuschung neben der Ermattung und Abstumpfung, die der Erregung folgen. Und ganz nach altem Brauch suchen die Menschen die Schuld ihrer Mißerfolge überall anders, nur nicht in sich selbst. Auch die Revolution und den Revolutionismus müssen wir so überwinden wie den Militarismus, – alles Blutvergießen ist ein Erbteil alter Zeit; wir wollen den Staat, Europa und die Menschheit ohne Kriege und also auch ohne Revolutionen. Der Krieg wird ebenso wie die Revolution in der echten Demokratie philiströs sein, weil beide ein altes, uraltes Mittel sind. Die Demokratie ist ein Regime des Lebens, und für das Leben verlangt sie Arbeit und ist ein Regime der Arbeit, und die Arbeit ist Frieden und in der Regel Kleinarbeit. Die Arbeit wird den Aristokratismus und den Revolutionismus überwinden, körperliche und geistige Arbeit. Schon Marx und Engels haben ihren 1848 geschaffenen Begriff der Revolution berichtigt, in der Maschine, also letzten Endes in der Erfindung, der Technik, der Wissenschaft und der Arbeit die sicherste und wirksamste soziale Revolution erblickt und sich für den Parlamentarismus entschieden.

Über den sogenannten Anarchismus der Tat, den Terrorismus, nur eine kurze Bemerkung. Über ihn wurde in der politischen Literatur der letzten Jahrzehnte, namentlich in Rußland, genug gesprochen, die vereinzelte, selbständige terroristische Handlung von den Sozialisten verworfen; gebilligt wurde nur die Tat im Einverständnis mit der Partei; das folgt aus der richtigen Erkenntnis, daß der einzelne Mensch, der sich das Recht über Leben und Tod anderer anmaßt und selbstwillig, isoliert vorgeht, ein Absolutist, Titanist oder einfach ein Verbrecher ist. Über all dies habe ich eingehend in meinem Werke über Rußland, diesem Lande des radikalen Anarchismus, Nihilismus und nihilistischen Terrorismus, gesprochen.

Es ist interessant, zu beobachten, wie sich die Worte Kampf und Revolution eingebürgert haben, – jeder Spießer redet von literarischer Revolution, vom wirtschaftlichen Kampf usw. Besondere Freude mag es den sozialistischen Marxisten bereiten, daß die bürgerlichen Wirtschaftler und Politiker die ganze marxistische Terminologie übernommen haben. Es ist wahr, daß die neue Zeit mit religiösen, philosophischen, politischen und sozialen Revolutionen und Kämpfen angefangen hat, doch es handelt sich eben darum, diesen Revolutionismus zu überwinden.

Vom Radikalismus gilt das Gleiche, was von der Revolution gesagt wurde. Das Wort bedeutet ursprünglich eine »Bewegung von der Wurzel her« und stammt aus Spanien, wo es gegen die Theokratie, den Katholizismus angewendet wurde. Ich habe schon dargelegt, warum gerade die katholischen Länder radikaler zu sein pflegen als die protestantischen, daß es aber nicht immer und notwendig bedeutet, sie seien fortgeschrittener, moderner, demokratischer.

Ich habe mich oft gegen den landläufigen Radikalismus ausgesprochen und auch schon hier meinen Standpunkt erklärt; ich setze an ihm aus, sehr oft das Recht auf politische Blindheit zu mißbrauchen; der Radikale beruft sich einseitig auf Gefühl und Instinkt, verwechselt schwächliche Aufregung mit Energie und Kühnheit, verbirgt sich hinter Volk, Nation, Masse, Kirche – diese und andere bekannte Eigenschaften der Radikalen haben mich immer zur Kritik gezwungen.

Die Demokratie besteht, so sagen ihre Gegner mit Verachtung, aus lauter Kompromissen; ihre Verfechter geben das zu, sehen aber darin ein Plus. Auch in dieser Hinsicht habe ich längst meine Meinung geäußert; in der politischen Praxis sind – wie bei aller Tätigkeit und überall im Leben – Kompromisse nötig, und zwar nicht der Grundsätze, sondern eben der Praxis; selbst die Radikalsten schließen sie in der Praxis (ein großes Beispiel: Lenin an der Macht). Die Politik gebildeter und bewußter Staatsmänner – und das gilt auch von gebildeten und bewußten Parteien – wird nicht zum Kompromiss zwischen Gegensätzen und Extremen werden, sondern wesentlich zur Ausführung eines Programms, das aus der Erkenntnis und dem Verständnis der Geschichte und der Gesamtlage des Staates, der Nation, Europas, der Welt aufgestellt worden ist. Das bedeutet wiederum die Forderung von Weltpolitik. Nicht einen goldenen Mittelweg, sondern ein klares Ziel und seine bewußte Verfolgung! Es gibt einen Unterschied zwischen Kompromis und Kompromis. Der anständige Mensch vermeidet ein Kompromis der Grundsätze, nicht aber eins der Mittel, zumal in nebensächlichen und weniger wichtigen Dingen. Auch in kleinen, untergeordneten, gleichgültigen Dingen auf seiner Meinung beharren, scheint zwar konsequent und fest zu sein, ist aber nur klein und kleinlich. In diesem Sinne wird mit Recht der Doktrinarismus verurteilt. Die Demokratie erhält und entwickelt sich durch das Denken und Zusammenwirken aller; und da niemand unfehlbar ist, so bedeutet die Demokratie als Zusammenwirken Duldsamkeit und Annahme des Guten, woher es auch komme. Häßlich jedoch ist die Kompromissbereitschaft von Menschen ohne bestimmtes Ziel und ohne Überzeugung, von politisch kurzsichtigen, ungebildeten, kleinen Menschen, – ihre Tätigkeit ist nur ein Schwanken von Meinung zu Meinung, ein ungewisses Suchen des goldenen Mittelweges, der in Wirklichkeit oft den Weg von einer Mauer zur andern bedeutet, – Politikasterei, Schwäche, Urteilslosigkeit, Halbbildung, Charakterlosigkeit und Angst.

Man kann sagen, daß sich die Staaten auf der bisherigen Stufe der Bildung durch Revolutionen und Radikalismus von oben und von unten entwickelt haben; diesem Kampfe der Revolution nach rückwärts mit der Revolution nach vorwärts, diesem Schwanken zwischen Reaktion und Radikalismus wird die Demokratie ein Ende bereiten, – allerdings nur die wahre Demokratie.

131.

Ich verfechte die Demokratie auch gegen den diktatorischen Absolutismus, wer auch immer sich das Recht auf Diktatur anmaßt, Kirche, Staat, Proletariat. Freilich kenne ich die Argumente, Gewissen und Recht seien absolut, absolut Vernunft und Wissenschaft, und die Diktatur sei daher berechtigt; ich kenne das Argument von der Diktatur »des Herzens« und ähnliche Ausreden. Gewiß sind Logik, Mathematik, sittliche und vielleicht auch andere Maximen absolut, d. h. sie sind nicht relativ in dem Sinne, daß jedes Land, jede Partei und am Ende jeder einzelne Mensch seine eigene Sittlichkeit, seine Mathematik und Logik hat; aber es gibt einen Unterschied zwischen der noëtischen Absolutheit der Theorie und dem praktischen, politischen Absolutismus. Die noch so sehr wissenschaftliche Politik ist wie alle Wissenschaft (Mathematik und Logik weichen darin einigermaßen ab) von Erfahrung, Induktion abhängig und kann, was im Begriff der Wissenschaft liegt, keine Unfehlbarkeit beanspruchen. Eine noch so wissenschaftliche Politik ist nicht unfehlbar, bietet keine ewigen Wahrheiten und kann politischen Absolutismus nicht rechtfertigen.

Der Absolutismus bestand nicht darin, daß es einen Monarchen gab, sondern daß er unfehlbar zu sein vorgab. Die Geschichte des Staatsabsolutismus und seiner Theoretiker ist eine interessante Lektüre. Der Staat befreite sich von der kirchlichen Vormundschaft, nahm aber ein Stück der Unfehlbarkeit für sich in Anspruch, die der Kirche und dem Papst eigen gewesen war. Der Titel »von Gottes Gnaden« ist der Ausdruck dieser Unfehlbarkeit, die sich die Herrscher für ihre Diktatur zu sichern suchten. Der Papst berief sich allerdings auf Offenbarung und Tradition, indem er bis auf Christus zurückgriff, – die Theorien des Herrscher- und Staatsabsolutismus sind nichts anderes, als ein Kiebitzen bei den Theorien des Kirchenabsolutismus und der Kirchendiktatur. Wenn noch kurz vor der französischen Revolution der Theoretiker des Absolutismus Marcier de la Rivière sich auf Euklid als Absolutisten berief, so ist das vielleicht ein interessanter Beweis dafür, wie damals der ludovikische Absolutismus nicht mehr geglaubt wurde und wie die Verteidiger des Absolutismus daher in halsbrecherischer Weise die Unfehlbarkeit, Kontrollosigkeit und Diktatur des Herrschers zu erhärten versuchten.

Gegen den geistigen und politischen Absolutismus lehnen sich seit Beginn der Neuzeit mit Recht alle Nationen auf, und das ist der Grund all der religiösen, literarischen, sozialen und politischen Revolutionen; der Widerstand und der Kampf gegen den Absolutismus geben der Neuzeit, dem Fortschritt, der Demokratie ihre Eigenart.

Die Diktatur war schon in römischer Zeit richtig auf den Krieg beschränkt; im Kriege – und überhaupt in der Praxis – ist ein Führer besser als ein Dutzend. Die Diktatur entsteht auch in revolutionären Zeiten, soweit die Revolution gleichfalls Krieg ist; aber die Diktatur kann keine Einrichtung für normale Zeiten sein. Die politischen Führer sind nicht unfehlbar. Vier Augen sehen mehr als zwei, – das ist eine Lehre, die ich durch politische Erfahrung und historisches Studium gewonnen habe. Daher stammt auch die Begründung des parlamentarischen und überhaupt des demokratischen Regimes.

Am russischen Bolschewismus sehen wir die Unzulänglichkeit der Diktatur; der Bolschewismus verkündete sich als das Non plus ultra der Entwicklung und erklärte sich für unfehlbar, – daher seine Inquisition aus den gleichen Ursachen und Gründen wie die spanische. Unfehlbarkeit ist eine Äußerung von Unbildung und Halbbildung; und gerade die Demokratie muß auf der Hut sein vor politischem Parvenütum.

Ich dachte im Auslande daran, daß wir für unsere antiösterreichische Revolution auch eine vorübergehende Diktatur nötig haben würden. Für den Fall, daß alle Legionen in Frankreich vereinigt worden wären, bestand die Möglichkeit, mit der alliierten Armee nach Deutschland zu ziehen. Die siegreiche Entente konnte den Frieden in Berlin diktieren, wie ihn die Deutschen in Paris oder Versailles diktiert hätten. Ich habe schon gesagt, daß ich über diesen Plan mit dem Präsidenten Wilson verhandelte. Ich stellte mir vor, daß wir in Deutschlands Hauptstadt gelangen und unsere ganze Armee von dort in die Heimat überführt werde. Der Plan war nicht einmal nach der Kapitulation der Zentralmächte phantastisch. Foch wollte an den Rhein kommen, und dachte sogar daran, aus Prag einen Stützpunkt gegen die Deutschen, vor allem zur Befreiung der Polen, zu machen. In dieser Lage wäre in dem erneuerten Staate eine vorübergehende Diktatur vielleicht nötig gewesen, solange ohne rechtmäßig durchgeführte Wahlen die konstitutionellen Rechtsgrundlagen gefehlt hätten. Mir schien es, daß in der Revolutionserregung durch solch einen vorübergehenden Absolutismus viele brennende Fragen hätten gelöst und diese Lösung dann dem Parlament zur nachträglichen Billigung und allerdings auch Änderung hätte vorbehalten werden können. Ich hatte für alle Eventualitäten einen fertigen Plan.

Die Dinge entwickelten sich anders. Daß ich den Plan einer zentralisierten, von der Armee gestützten provisorischen Diktatur nicht aus absolutistischen Herrschgründen gehegt habe, brauche ich nicht ausdrücklich zu sagen; übrigens war der Plan nicht ohne Zustimmung der heimischen Führung gedacht. Ich stellte mir zugleich ein vorübergehendes Direktorium aus den Führern im Auslande und daheim vor, ein Direktorium als wirkliche Regierung, die die Verantwortung nicht fürchtet. Nach dem Umsturz, der sich durch den unerwarteten Zusammenbruch Österreich-Ungarns unblutig vollzog, genügte die Diktatur des revolutionären Nationalausschusses und der Nationalversammlung.

132.

Als ich zum Präsidenten der Republik gewählt wurde, dachte ich natürlich über das Problem der demokratischen Präsidentschaft nach. Ich hatte während des Krieges Gelegenheit, die Republik in der Schweiz, in Frankreich und in Amerika näher zu beobachten, sie mit konstitutionellen Monarchien (England, Italien) zu vergleichen und so die durch Studium erworbenen Anschauungen auch praktisch zu beglaubigen. Ich habe Einiges darüber insbesondere im Bericht über meinen Aufenthalt in Amerika gesagt.

An meine Präsidentschaft habe ich vorher die ganze Zeit hindurch nicht gedacht, der Gedanke war mir niemals gekommen, – die Aktion, die Befreiungsarbeit nahm mich voll in Anspruch. Ich sah mich in der neuen Republik gewohnheitsmäßig (auch ein Anthropomorphismus!) als Abgeordneter und Schriftsteller, der an ihrem Ausbau arbeitet (die Professur beanspruchte ich nicht mehr.)

Schon früher hatte ich mich mit der rein theoretischen Frage beschäftigt, ob der Präsident nicht ein Überrest des Monarchismus sei (im republikanischen Rom gab es zwei Konsuln, in Japan zwei Kaiser usw.); aber auch der Monarchismus besteht, wie schon gesagt, nicht darin, daß es einen Monarchen gibt, – in einem größeren Staate regiert niemals nur ein Mensch, weil das administrativ unmöglich ist, sondern mehrere, und die Monarchie ist eine Art von Oligarchie; die Regierung eines einzigen Menschen ist eben praktisch unmöglich. Irgendeine Form des Direktorats würde der Demokratie dem Buchstaben nach entsprechen, doch wird, auch wenn es mehrere Präsidenten gäbe, immer einer den größten Einfluß und die größte Autorität genießen; das geht nicht anders.

Die Entwicklung vom Monarchismus weg wird auch bei uns allmählich sein, wie bei anderen Völkern. Wir haben zwar, wie ich dargetan habe, die Vorbedingungen für die Republik, doch war bei uns ein starkes Gefühl für König und Königtum, ein starker Royalismus herangezogen worden; nur die sozialistischen Parteien und ein Teil der Intelligenz waren – programmäßig – republikanisch. Die ganze Erziehung in österreichischer Zeit war undemokratisch, und die Menschen richten sich in der Politik, wie gesagt, mehr nach der Gewohnheit, als nach dem Verstand. Nicht nur der Präsident, sondern auch die anderen Republikaner müssen wahrhaftig republikanisch und demokratisch werden. Es gibt und kann einen Unterschied geben zwischen Republik und Demokratie, – die Republik ist eine Form, die Demokratie eine Sache. Die Form, die geschriebene Verfassung, verbürgt nicht immer die Sache: man kann in der Politik nicht genug betonen, die Sache, den Inhalt zu achten, nicht die Form, den Buchstaben, – eine schöne Verfassung ist leicht geschrieben, aber sie schön und konsequent auszuführen ist schwer. Mitunter kann die Monarchie demokratischer sein, als die Republik.

Für die Republik gibt es vier wichtige Vorbilder: die Schweiz, Frankreich, die Vereinigten Staaten von Nordamerika und in gewissem Maße auch das früher kaiserliche Deutschland (ein augenfälliges Beispiel für den Unterschied zwischen Form und Sache!) Jedes dieser Vorbilder entspricht den Verhältnissen im eigenen Lande und seiner Entwicklung; keine Institution läßt sich in ein anderes Land mechanisch und unorganisch übertragen.

In allen Republiken kommt das föderative und autonomistische Prinzip zur Geltung; das liegt im Wesen der Demokratie: sie bedeutet Freiheit und daher die weiteste Selbstverwaltung.

Was die Präsidentschaft betrifft, fallen das schweizerische und das deutsche Vorbild fort, und es bleiben das amerikanische und das französische. Ich habe von der amerikanischen Republik gesagt, daß die Stellung des Präsidenten nach der Revolution bewußt dem Muster des englischen Königs nachgebildet wurde. Washington war von Geburt Aristokrat und schmückte als Präsident sein Haus in Mount Vernon mit den Standbildern Alexanders, Cäsars, Karl XII., Marlboroughs, Prinz Eugens und Friedrich des Großen. Nach Washington haben sich die Präsidenten demokratisiert. In Amerika wählt der Präsident sich die Regierung außerhalb der Abgeordneten; in Frankreich ist die Regierung aus Abgeordneten gebildet, parlamentarisch. Für unsere Verhältnisse möchte ich ein gemischtes System für das Richtigste halten: der Präsident wählt eine bestimmte Anzahl von Ministern (die Mehrzahl? die Hälfte?) aus Abgeordneten und Senatoren, den Rest aus Nichtabgeordneten. So wäre es möglich, die Regierung zu verfachlichen; denn die anerkannten Mängel des Parlamentarismus liegen eben darin, daß viele Abgeordnete nicht Fachleute, sondern Parteileute sind. Es versteht sich von selbst, daß der Präsident bei der Wahl aller Minister sich mit den Parteien berät und verständigt.

In Amerika gibt es auch für die Aufstellung des Etats eine besondere nichtparlamentarische Kommission. Darin liegt der gesunde Gedanke, daß die Parteien im Parlament den nervus rerum nicht mißbrauchen, doch hat dieser Ausschuß in der Praxis keine Macht.

Ich habe die Frage gestreift, wie das Parlament und der Parlamentarismus zu reformieren sei; ich habe auch über andere Einrichtungen nachgedacht. Z. B. darüber, daß die Ausschreibung öffentlicher Wahlen nur so lange dem Akt selbst vorangehen sollte, wie die technische Ausführung es erfordert; den Parteien sollte keine lange Zeit zur Agitation gewährt werden. Es ist eine der Hauptursachen der Unlebendigkeit der Parteien, daß sie sich in der Zeit des »Friedens«, wenn ich so sagen kann, um die Organisierung und Bildung ihrer Anhänger wenig kümmern; die politische und parteiliche Energie erwacht erst für die Wahlen oder durch Reibungen und Ketzereien in der eigenen Partei. Aber die Demokratie ist beständige, positive Kleinarbeit.

Es gäbe noch vieles, was sich in einer näheren Darlegung der Einrichtungen und der Verwaltung der demokratischen Republik anführen ließe; ich begnüge mich mit diesen wenigen Beispielen.

133.

Ich habe im Verlaufe meines Berichtes und meiner Betrachtungen die politischen Hauptgrundsätze vorgebracht, von denen ich mich bei meiner Auslandsaktion habe leiten lassen; von ihnen will ich mich auch als Präsident leiten lassen. Das ist allerdings nur ein Rahmenprogramm, die näheren Regeln und die praktische Ausführung werden von den Verhältnissen, von den Personen abhängen, mit denen zusammenzuarbeiten ich berufen worden bin, und dieser Personen gibt es in einer demokratischen Republik sehr viele, – es sind alle. Die wahre Republik, die Volksregierung, die Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk besteht im allgemeinen Recht der Initiative; in der Demokratie ist jeder Bürger berufen, jeder ist verantwortlich. Aber freilich sind auch in der Demokratie viele berufen und wenige auserwählt ...

Der Übergang vom Aristokratismus zum Monarchismus ist darum überall schwer, weil sich die Bürger in der monarchischen Aristokratie nicht an Verantwortung und Entscheidung gewöhnt haben; und in vielen ist vom Monarchismus und Zarismus ein Stück Aristokrat und Absolutist übriggeblieben. Befehlen ist nicht immer Führen.

Andererseits will der Mensch von Natur aus nicht nur der Herr sein, sondern auch gehorchen, will geführt und zugleich Führer sein, – auf jeden Fall fällt unserer Republik die Aufgabe zu, sich ihre Demokraten zu erziehen.

Für alle Zukunft wird es wichtig sein, gleich zu Beginn in den Hauptfächern der Verwaltung und der Politik nach innen und außen die Richtung zu bestimmen, in der sich unser Staat entwickeln soll, – das ist wichtiger als Einzelheiten. Die Richtung: sich in den wichtigsten unserer Fragen über die Grundsätze und die Taktik entscheiden, damit für die weitere Entwicklung eine richtige Tradition gebildet werde, damit wir nicht auf dem breiten goldenen Mittelweg hin und her taumeln, sondern fest und sicher zu unserem nationalen Ziele schreiten.

Meine Grundsätze und mein Programm erwuchsen organisch aus unserer Geschichte, in die ich mich versenkt habe und aus der ich mein politisches und kulturelles Programm gewonnen habe. Lehrmeister war mir darin der Vater des Vaterlandes. Palacký gab uns die philosophische Geschichte unserer Nation, er begriff unsere Situation in der Welt und in der Geschichte und bestimmte uns dadurch unser nationales Programm.

Palacký begriff, daß wir durch unsere geographische Lage und unsere bisherige Entwicklung einen Teil des Weltganzen bilden und daß es mithin unsere Aufgabe sei, uns dieser unserer Position bewußt zu werden und innerhalb ihrer und für sie unser politisches Vorgehen einzurichten. Palacký sah, daß Europa und die Menschheit einheitlich werden und eine Weltorganisation bilden, und er sagte uns, welche Aufgabe uns in dieser »Weltzentralisation« zufalle. »Durch die Wunderkraft des Dampfes und der Elektrizität ist den Weltverhältnissen ein neues Maß gegeben, die alten Grenzen zwischen Ländern und Nationen schwinden immer mehr, alle Stämme, alle Glieder des Menschengeschlechtes nähern sich einander, berühren und streifen sich gegenseitig, und die Hagestolze eines jeden Geschlechtes gehören fortan ins Reich der Sage. Dadurch ist der Wetteifer zwischen den Nationen in einem vorher nicht gekannten Maße erwacht. Und er wächst bereits und wird je weiter desto mehr wachsen; wer fortan mit seinem Nachbarn nicht um die Wette läuft, wird verkümmern und schließlich unrettbar zugrunde gehen. Und ich frage mich, ob gerade unser Volk, von Gott durch edle Geistesgaben reicher bedacht als andere, infolge der Nachlässigkeit und des Unverstandes der Führer beiseite stehen und sich an dem Wettbewerb nicht beteiligen soll, der allein sein Leben in der Zukunft sichern kann?« Doch steigen wir aus dem Reiche der Ideen und der allgemeinen Bilder in die nackte konkrete Wirklichkeit herab: der Sinn unserer Rede wird dadurch vielleicht mehr Licht und Klarheit gewinnen. Es ist Zeit, daß unser Volk von neuem erwache und sich im Geiste der neuen Zeit orientiere: daß es seinen Blick über die engen Grenzen seiner Heimat erhebe und auch, ohne seine treue Vaterlandsliebe aufzugeben, eifriger und vorsichtiger Weltbürger werde. Wir müssen uns am Welthandel mitbeteiligen und aus dem allgemeinen Fortschritt für uns Nutzen ziehen; wir müssen nicht von unserem alten Glauben und unserer Redlichkeit, aber von jener alten und eingefressenen Gewohnheit des Schlendrians lassen, von jener altüberkommenen Schwäche und Lässigkeit, die die Ursache unserer Armut und Kleinmütigkeit sind; wir müssen neue Wege betreten und uns alle durch Industrie erholen, nicht nur Fabrikanten, Kaufleute und Handwerker, sondern auch Landwirte, Gelehrte und Beamte. Die ehemalige bequeme Billigkeit hat von uns für immer Abschied genommen, zugleich mit der Rohheit und der Unkenntnis der Bedürfnisse und der Leckerbissen des zivilisierten Zeitalters; auch die öffentlichen Steuern können und werden fortan nicht geringer werden, wie immer die Regierung unseres Staates sei. Sollen wir nicht verkümmern und in Elend geraten, so müssen wir unseren Eifer verdreifachen und uns mit anderen Nationen möglichst gleichstellen, die durch ihren Unternehmungsgeist bis an den Rand der Welt herrschen.«

Für diese wahre Weltpolitik empfiehlt Palacký, wie es wohl nicht anders sein kann, die Grundsätze des Humanitätsideals. »Mein letztes Wort ist der herzliche und innige Wunsch, meine lieben Volksfreunde in Böhmen und Mähren, in welcher Stellung sie sich auch erblicken, mögen niemals aufhören, sich selbst, der Wahrheit und der Gerechtigkeit treu zu sein« ... »Die Zeit des Hus ist eine glorreiche Zeit, das tschechische Volk überragte damals durch Bildung alle anderen europäischen Völker ... Nun ist es nötig, daß wir uns bilden und nach dem Gebot des gebildeten Verstandes handeln. Das ist das einzige Vermächtnis, das ich fast sterbend meinem Volke hinterlassen möchte« ... »Sooft wir siegten, geschah es jedesmal mehr durch das Übergewicht des Geistes als durch physische Macht, und sooft wir unterlagen ... trug stets der Mangel an geistiger Tätigkeit, sittlichem Mut und Kühnheit die Schuld. Jene befinden sich sehr im Irrtum, die annehmen, daß die Kriegswunder, die unsere Vorfahren in den hussitischen Unruhen vollbrachten, in irgendeinem blinden Wüten, Schlagen und Zertrümmern toller Wilder (wie sie zu schildern leider seit jeher Brauch wurde) bestanden und nicht vielmehr in der hellen Begeisterung des Geistes für eine Idee, in der sittlichen Wohlbehaltenheit und der höheren Aufklärung unseres Volkes. Im Gegenteil, als wir 200 Jahre später in einem ähnlichen Kampfe bis fast an das Grab sanken, verschuldeten wir dies dadurch, daß wir die Feinde nicht durch Geistesbildung überragten, sondern ihnen mehr durch sittliche Fäulnis, als durch ungenügende Macht gleichkamen und selbst an das Schwert und die Gewalt appellierten ... Nur dann werden wir unsere Zukunft dauernd sichern, wenn wir in dem uns von Urzeiten her durch die Vorsehung Gottes auferlegten Kampfe durch Geist siegen und herrschen.«

Palacký hat oft über unsere sittlichen Fehler und Mängel Betrachtungen angestellt; in der Abhandlung über die Ursachen der Germanisierung vergleicht er uns mit unseren Nachbarn, mit denen wir uns natürlich stets messen müssen, und kommt zu dem Schlusse, daß wir unseren nationalen Niedergang in gewissem Maße selbst verschuldet hatten. Palacký glaubt nicht, daß die Deutschen von Natur aus durch Rasse und Blut ein höheres Volk seien und höheren Geist und Verstand haben, doch haben sie in geringerem Maße als wir den Fehler, den Palacký folgendermaßen schildert: »Die sittlichen Fehler und Mängel unseres Volkes sind verschieden: aber einer der größten und schädlichsten ist gewiß der, den wir tschechisch nicht einmal nennen können, obgleich er seit alters her die Wurzeln unseres Gemeinschaftslebens frißt: wir meinen den Luxus, im weitesten Sinne des Wortes. Der Tscheche und überhaupt der Slawe kann sich viel besser im Unglück als im Glück benehmen. Er ist zart und fähig, eifrig und erfinderisch, rührig und zäh; aber auch sinnlich und eitel, unbekümmert um die Zukunft und unbeständig, üppig und begehrlich. Viel leichter gelingt es ihm, Vermögen und Besitz zu erwerben, als das Erworbene zu behalten und zu behüten. Der Verdienst von heute wird noch heute verschwendet; und wenn nicht heute, so morgen ... Unser schöner Teint kann sich an stiller Sinnenlust nicht genug tun; es gibt vielleicht auf der weiten Welt keine Gegend, wo der Göttin Mode ein so inbrünstiger Götzendienst geleistet wird, so viele Opfer dargebracht werden wie in Böhmen; wer mit offenen Augen in Europa gereist ist, dem kann es nicht entgangen sein. Und nicht nur in unserer Zeit geschehen diese Dinge ... Als Erster hat Dalemil, als Letzter Comenius den Grund für den Fall seines Volkes in Eitelkeit und Üppigkeit erblickt; König Georg hat durch eigene Gesetze, andere Väter des Landes haben durch Eifern und Ermahnungen vergeblich gegen sie gearbeitet ... Die Tschechen haben schon vor sechs Jahrhunderten begonnen, den Spitznamen eines »äffischen Volkes« zu erwerben und leider zu verdienen, weil sie alles auffangen und alles nachmachen, was sie bei ihren Nachbarn sehen. Die Deutschen sind darin anders, viel kühler, besonnener, vorsichtiger. Der Deutsche weiß ein Vermögen nicht bloß zu erwerben, sondern auch mit dem Erworbenen zu wirtschaften; er schämt sich nicht, nach der Rückkehr aus der Fremde nach Böhmen daheim wieder Bauer zu sein, wenn er auch in Cadix war und ein Herrschaftsvermögen angesammelt hat; obwohl er gerne gut ißt und trinkt, gelüstet es ihn weniger nach Leckerbissen, Prunk und Schmuck und er blickt mehr in die Zukunft ... Es gibt auch andere Ursachen unseres Mißerfolges, als das seit langem unter uns erstickte Nationalgefühl: das blinde Kleben an der heimatlichen Scholle und der damit verbundene Mangel an Unternehmungslust in der Fremde, die Begierde nach Neuheiten, die mehr passiv ist, als tätig, nämlich mehr zum Genuß als zum Schaffen geeignet, ja selbst unsere Sanftmut und Verträglichkeit, die sich von aller Gewalt gegen den Nächsten entfernt und mithin lieber Unrecht leidet, als verübt ... Wer den veralteten Ungeist los werden will, muß ihn vor allem kennen und erkennen, zumal es ihm schon ans Leben geht; erst dann wird es ihm möglich sein, die rechten Mittel zur Rettung seines Lebens zu ergreifen. Zu Beidem bedarf es eines energischen Willens, doch eines solchen, der sich weniger durch Feurigkeit, als besser durch Festigkeit und Ausdauer auszeichnet. Durch Lärm und Toben erreichen wir ja nichts, sondern nur durch stilles, treues, aufrichtiges und beständiges Streben, das sich weder durch Lockungen ablenken, noch durch Greuel abschrecken läßt. Vernünftige sittliche Bildung muß bei unserem Volke einen höheren Grad erreichen, damit es sich selbst verstehe und danach seine Zukunft besorge. Alle anderen Mittel wären nur bloße ärmliche Palliative ... Alle Patrioten, trachtet eueren Landsleuten vor allem eine zuträgliche geistige und moralische Nahrung zu bieten und zu ermöglichen; sie werden dann so viel guten Sinn in sich aufbringen, daß sie sich fortan vor den giftigen Ansteckungen in Acht nehmen!«

134.

Die Erneuerung unserer politischen Selbständigkeit in Form der demokratischen Republik ist eine natürliche Folge und Fortsetzung unserer Entwicklung.

Der Verlust unserer Selbständigkeit, die Unfreiheit unter einer fremden Dynastie und ihrem antitschechischen Regime hatten uns für Republik und Demokratie vorbereitet, die fremde Dynastie, die fremde Armee, der entfremdete Adel und die aufgezwungene Kirche uns dem Monarchismus und seinen Haupteinrichtungen entfremdet. Ich habe hervorgehoben, wie wir so durch unsere historische Entwicklung auf Republik und Demokratie angewiesen wurden.

Doch unsere Entwicklung hatte uns auch positiv auf Demokratie und Republik vorbereitet; unsere Reformation legte den Grund zur modernen Humanität, mithin auch Demokratie. Palacký hebt an der Reformation die Bedeutung unserer Bruderkirche hervor, die durch ihren sittlichen Wert alle anderen Kirchen und Reformationsversuche überholt habe. Der Gründer der Bruderschaft lehnte jegliche Gewalt ab, der obwaltenden Lage nach nicht nur den Staat, sondern selbst die Kirche; er begriff so das Wesen der mittelalterlichen Theokratie gut, diese intime Verbindung von Staat und Kirche. Chelčickýs extreme Gesinnung wurde durch seine Nachfolger gemildert, ebenso die der Taboriten, deren Kommunismus nicht bestehen blieb; König Georg richtete, obgleich er ein Gegner der Brüder war, das Ideal des ewigen Friedens auf und stimmt darin der brüderlichen Grundidee zu; Comenius, der letzte Bischof der Bruderkirche, baute durch Schule und Erziehung die Menschlichkeit auf, trachtete durch Bildung das nationale und zugleich allmenschliche Programm zu verwirklichen. Comenius spricht auf dem Wege über Leibniz und Herder – wie Denis es schön gesagt hat – zu uns durch Dobrovsý und Kollár; nach ihnen formulierte Palacký, Safarik und Havliček den Forderungen der Zeit gemäß unser nationales Humanitätsideal.

In Opposition gegen den Absolutismus des gegenreformatorischen Österreich neigten wir uns im 18. Jahrhundert den Idealen der Aufklärung und der französischen Revolution zu, die fortschrittlichen Ideen des Westens wurden zu führenden Gedanken unserer nationalen Wiedergeburt. Dies um so leichter, als der geistige Führer der Revolution, Rousseau, aufgewachsen im schweizerischen Republikanismus und Calvinismus, von Reformationsideen ausgeht; die Männer der Revolution setzten, wie Marx es richtig gesagt hat, den Weg der Reformation fort. Die Aufklärung, der Humanitismus und die Leitideen des 18. Jahrhunderts sind eine Fortsetzung der Richtung der Reformation und mithin auch unserer tschechischen Reformation.

Das Humanitätsideal ist nicht spezifisch tschechisch, es ist eben allmenschlich, aber jede Nation verwirklicht es auf ihre Art. Die Engländer haben es vorwiegend ethisch formuliert, die Franzosen politisch (die Proklamierung der Menschen- und Bürgerrechte), die Deutschen sozial (der Sozialismus), wir national und religiös. Heute wird das Humanitätsstreben bereits allgemein, und es kommt die Zeit heran, in der es von allen gebildeten Nationen als Grundlage der Staaten und der Internationalität anerkannt wird.

Ich behaupte nicht, daß wir Tschechen und Slowaken von Natur aus mit einem besonders lieben, zarten, taubensanften Charakter ausgestattet sind. Im Gegenteil, mir scheint, daß wir neben der charakteristischen Weichheit – diese ist nicht identisch mit Gefühlsstärke und Liebenswürdigkeit, sie ist eher eine Empfänglichkeit – ziemlich hart sind; möglicherweise sympathisieren wir mit Menschen, die um einen Grad unmittelbarer, direkter sind als der Westen und nicht allen Arten von Formalismus so sehr unterliegen. Wie unser Charakter sich entwickelt hat, ist eine andere Frage; ich habe auf die Unklarheiten bei Diskussionen über den Nationalcharakter hingewiesen.

Über unser nationales Humanitätsprogramm wurden bei uns schon vor dem Kriege lebhafte Debatten geführt; nach dem Kriege werden sie fortgesetzt; es handelt sich um zweierlei: zunächst um den Humanitismus (das Humanitätsprogramm – die Humanität, wie man kurz zu sagen pflegt) und dann darum, ob unser tschechischer Humanitismus eine religiöse Grundlage habe.

Der Humanitismus selbst wird nicht besonders umstritten, es geht eher um allerhand Mißverständnisse, die sich aus der Ungeklärtheit der Begriffe ergeben; ich hoffe, daß sie nach der Darlegung, die ich gegeben habe, wegfallen werden. Schwerer, wenn nicht unmöglich wird die Verständigung mit jenen Gegnern sein, die den Humanitismus überhaupt ablehnen oder seiner religiösen Begründung nicht zustimmen.

Es gibt mehrere Arten dieser Gegner des Humanitismus. Er wird von denjenigen abgelehnt, die Sittlichkeit und Religion – und die »Ideologie« überhaupt – für keine politisch ernste Sache halten; Moralisieren und Religion seien ein »überwundener Standpunkt«, seien für Kinder, Frauen und Sentimentalisten; die praktischen, realen Politiker – die »Realpolitiker« – operieren mit praktischen Wirklichkeiten, seien nicht sentimental usw. Offenbar gibt es solche und solche »Realpolitiker«: Bismarck billigte diese »Realpolitik« nicht, und die Pangermanisten auch nicht; sie nahmen den Humanitismus nicht an, dagegen schätzten sie die Religion sehr, die kirchliche (Bismarck) oder die neue, pangermanische (Lagarde).

Der Humanitismus wird auch im Namen der Nationalität bekämpft. Ich las unlängst die folgende Darlegung eines ehemaligen Legionärs: »Wir sind frei geworden, weil wir den Alliierten versprachen, gegen den deutschen Imperialismus einen Damm zu bilden. Unsere Nation ist nicht um ihrer glorreichen Vergangenheit willen frei geworden, um unserer kulturellen, wirtschaftlichen Reife willen, weil wir das Volk des Hus, Comenius, Palacký sind, sondern weil unsere Repräsentanten im Auslande davon zu überzeugen gewußt haben, daß die Selbständigkeit unserer Nation die Stärkung ihrer Lage gegen die Gefahr des deutschen Imperialismus sei. Wir haben die Verpflichtung übernommen, wir müssen sie erfüllen. Wir werden sie erfüllen, wenn unser Staat dem gesamten Geiste seiner öffentlichen Verwaltung nach tschechoslowakisch und ein Nationalstaat sein wird!« Das ist ein einseitiger und unrichtiger Standpunkt. Ich glaube ein Recht darauf zu haben, zu sagen, was ich den Alliierten versprochen habe. Ich habe den Pangermanismus bekämpft – und zwar sehr energisch; aber es kommt darauf an, mit welchen Gründen ich unser Recht auf unsere Selbständigkeit verfochten habe. Daß wir einen Damm gegen den deutschen Imperialismus bilden würden, man verstehe mich, den einzigen Damm, das habe ich freilich nicht behauptet und habe es nicht behaupten können. Mir ging es darum, bei den Alliierten das volle Verständnis des pangermanistischen Planes zu wecken und sie gegen die gemeinsame Gefahr zu gewinnen; und es ging mir darum, die Alliierten davon Zu überzeugen, daß wir eben als Volk des Hus und des Comenius das Recht haben, unsere Freiheit anzustreben und ihre Hilfe anzurufen. Gewiß wurden die Bajonette unserer Legionäre gezählt, und ich habe selbst seit Kriegsbeginn die Bajonette gefordert, aber keineswegs aus Chauvinismus, sondern in der Überzeugung, daß wir ein volles Recht auf Abwehr haben, daß unsere Selbständigkeit nicht nur moralisch, sondern auch juridisch gerechtfertigt und das, was wir verfechten, kulturell wertvoll sei. Nur Bajonette – das ist eben der überwundene und gerade durch den Weltkrieg überwundene Standpunkt; in England und Amerika nur mit Bajonetten operieren zu wollen, das wäre eine geradezu selbstmörderische Kurzsichtigkeit gewesen. Unsere ganze ausländische Propaganda ist eine Widerlegung des chauvinistischen Nationalismus.

Ich wende nichts gegen den Nationalismus ein, wenn mit dieser Bezeichnung die Liebe zur Nation gemeint wird; die Liebe zur Nation, die nationale Idee, wie man zu sagen pflegt, ist eine sehr wertvolle und edle politische Kraft, durch die der Einzelmensch zum opferbereiten Ganzen organisiert wird. Und die organisierten nationalen Gesamtheiten verbinden sich zur Menschheit. Die Liebe zur Nation kann nicht Gegenstand eines Streites sein; man kann nur über die Qualität dieser Liebe und darüber streiten, was wir für die Nation erreichen wollen, welchem Programm und welcher Taktik die Liebe zur Nation zu folgen habe. Ich bin seit je für Nerudas bewußte Liebe zur Nation, denn mir genügt nicht nur Liebe zur Nation, die versteht sich heute von selbst, aber nicht von selbst versteht sich, daß jedes Programm, das von Einzelpersonen, Fraktionen und Parteien für national erklärt wird, richtig und berechtigt sei. Es gibt viele gutgemeinte, aber schwache und unmögliche sogenannte nationale Programme; trotz Havlíčeks lautem Protest gibt es gewiß noch viele Spekulanten in Patriotismus.

Es besteht keine Nation, deren Führer, sei es in der Politik, sei es in der Literatur und Publizistik, sich begnügt hätten, auf die Zahl ihrer Bajonette hinzuweisen; stets gaben sie Gründe für den Wert ihrer Nation an; auch die Pangermanen bewiesen den Wert und geradezu den Vorrang der deutschen Nation mit Vorzügen der deutschen Wissenschaft, Philosophie usw. Der Franzose führt die politische Kontinuität seit den Römern für sich an, rühmt die staatsschöpferische Gewandtheit, mit der er den Staatszentralismus ausgebaut und die französische Idee der Staatssouveränität bisher durchgesetzt hat; der Franzose wird sich auf die Kämpfe seiner Könige mit dem Papsttum, also auf den Kampf gegen die Theokratie, berufen, vor allem aber auf die große Revolution, ihre Idee und Politik hindeuten; er wird sich vielleicht auch auf Napoleon berufen, aber Republik und Demokratie betonen, jetzt den Anteil Frankreichs am Weltkriege und am Frieden und allerdings seine ganze Literatur, Zivilisation und Kultur einschätzen. Das französische Bajonett allein – das spielt in der ganzen Kette von Argumenten und Tatsachen keine Hauptrolle.

Nicht anders der Engländer. Er wird auf seine staatsschöpferische Fähigkeit hinweisen, mit der er das größte Weltreich aufgebaut hat; doch gerade der Engländer wird hervorheben, daß er dieses Reich nicht durch Bajonette, sondern durch Politik und Verwaltung geschaffen. Der Engländer ist stolz auf seine Reformation, ob nun auf die anglikanischen oder independentische, und wird auseinandersetzen, was auch die englische Revolution für die Demokratie bedeutet habe. Der Engländer wird auf die wichtige Tatsache hinweisen, daß seine Staatsform – der Parlamentarismus – von der ganzen Welt aufgenommen sei. Und soll ich ausdrücklich erwähnen, was der Engländer über seine Literatur sagen wird? Was über den einzigen Shakespeare?

Aber nicht nur der Engländer und der Franzose wird so sein Kulturwerk einwerten – alle anderen Nationen sind darin mit ihnen einig und empfangen die Kulturerrungenschaften der französischen und der englischen Nation ohne Widerwillen. Die Statistik zeigt uns, daß Englisch die meistgesprochene Sprache ist.

Und so müßte ich anführen, was die Deutschen, Italiener, Russen u. a. über sich der Welt zu erzählen wissen, was auch die kleinen Nationen sagen, die Holländer, Dänen, Norweger usw. – – Was werden wir der Welt über uns sagen? Und was wird die Welt über uns und von uns annehmen? Das ist die Frage.

In politischer Hinsicht werden wir zeigen, daß wir unseren Staat, und zwar einen ziemlich großen Staat schon in ältesten Zeiten gegründet und daß wir staatsschöpferische Fähigkeit genug hatten und haben; das beweisen nicht nur Karl IV. und König Georg, sondern auch vor Karl der Versuch eines großmährischen Reiches und die Organisation des Přemyslidenreiches – eines von einheimischer Dynastie und Verwaltung geschaffenen Staates in der Nachbarschaft der Deutschen, von denen die anderen slawischen Staaten vernichtet wurden. Wir werden die administrative Fähigkeit hervorheben, wie sie durch unsere Landtafel und andere Institutionen bewiesen sind. Den Hauptnachdruck werden wir auf die kulturellen Bestrebungen legen: auf das Schulwesen in ältesten Zeiten und die erste Universität in Mitteleuropa. Die stärkste Empfehlung in den Augen ganz Europas ist jedoch unsere Reformation, ist Hus; unsere Reformation hat in charakteristischer Weise vor Hus durch eine Reihe von Moralisten (Štítný u. a.) begonnen, Hus und seine Nachfolger waren die Fortsetzung; unsere Reformation war in der Hauptsache ethisch; auf die theologische Lehre legte sie geringeren Wert. In den hussitischen Kämpfen verteidigten wir uns gegen das ganze, vom Papsttum geführte Europa; wir werden gewiß das Wort unterstreichen: »Was ein Tscheche ist, ist ein Hauptmann« – Žižka. Und da war nicht Hus allein; neben ihn werden wir Chelčický und die Brüdergemeinschaft setzen, mit Comenius als Ausläufer. Wenn die Engländer sich auf Shakespeare, die Franzosen auf Rousseau, die Deutschen auf Goethe berufen können, so nennen wir uns das Volk des Comenius. Vor der Schlacht am Weißen Berge erlangten unsere Stände vom Kaiser den Majestätsbrief, ein seltenes Zeugnis für das tschechische Streben nach religiöser Verträglichkeit; ein Zeugnis, das noch seltener ist, wenn wir vergleichen, wie scharf in Deutschland sich die Kirchen trennten. Wir werden der Schlacht am Weißen Berge gedenken und der habsburgischen Gegenreformation, unseres nationalen Niederganges, aber auch der Wiedergeburt am Ende des 18. Jahrhunderts, die dadurch möglich war, daß das Volk, alle religiösen Stürme überdauernd, physisch und seelisch ungebrochen geblieben war. Wir werden stolz auf den unaufhörlichen Widerstand gegen Österreich-Ungarn hinweisen, einen im Kern moralischen Widerstand – es ist ja bekannt, daß wir politisch bereit waren, Österreich anzuerkennen –, und werden schließlich unseren Anteil am Weltkrieg und die Wiedererrichtung unserer staatlichen Selbständigkeit schildern und Europa versichern, nach Demokratie, Frieden und Fortschritt zu streben – kurzum, Palackýs Philosophie unserer und der Weltgeschichte ist unsere beste Empfehlung: seit Beginn des 14. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die religiöse und mithin die humanitäre Frage die tschechische Frage.

So beschaffen waren in aller Kürze die Hauptargumente für unsere Befreiung, mit denen wir der Welt darlegten, warum wir um die Freiheit unserer Nation kämpften und warum die Welt die Pflicht hatte, uns beizustehen. Das Programm unserer Freiheitsaktion war nicht nationalistisch im Sinne jenes Legionärs und konnte es nicht sein.

Unlängst habe ich eine andere im Namen des Liberalismus abgegebene Erklärung meines Humanitismus gelesen; er sei theoretisch, unser wirklicher und nationaler Humanitismus habe sich als geeignete Waffe des Schwachen für die Aufgaben der neuen Zeit entwickelt. Gewiß wird der Kleine gegen den Großen nicht sofort mit dem Eisen vorgehen, sondern wird es vorerst mit vernünftigen Worten und überhaupt mit Vernunft versuchen (David ist keine Ausnahme, denn Goliath war ein chauvinistischer Maulheld); das versteht sich heute von selbst und verstand sich auch in der Vergangenheit. Aber außer dem utilitarischen Grunde forderten unser Comenius und in der Zeit der Wiedergeburt Kollár und Palacký die Humanität vor allem als Prinzip und Disziplin des Charakters, keineswegs als nur taktisches Mittel. Wir wollten und wollen wahrhaftig Menschen sein.

Gegen Palacký werden auch andere Gründe laut. Es gibt immer sentimentale Leute, die zwar wenig gläubig sind, denen aber Weihrauch, Ritual, Kirchenorgel usw. liebe Erinnerungen aus der Kindheit und an die Kindheit bedeuten; die Erinnerung genügt ihnen, – sich in der religiösen Frage zu entscheiden, ist ihnen unangenehm und unbequem. Sie berufen sich gegen den Geschichtschreiber Palacký auf den Politiker Palacký, der gegen die religiösen Gegensätze gewesen sei und sich, er, der Protestant, mit der katholischen Kirche mehr als versöhnt habe (»der böhmische Bruder in der Prozession«!) Palacký sagt dagegen selbst aus, indem er betont, daß er seine Anschauung von der Vorzüglichkeit der Brudergemeinschaft niemals aufgegeben habe, und jeden Autoritätsglauben in religiösen Dingen ablehnt: »Selbst vermag ich nicht, jemals katholisch zu werden.« Er führt die Nation aus den dogmatischen Streitigkeiten nicht aus religiösem Indifferentismus hinaus, sondern weil sie ihr schadeten; aber er stimmt dem Bruder Lukas zu, der (gegen Luther) für das Recht der Vernunft auch bei Erklärung der Heiligen Schrift eintritt.

Sehr nachdrücklich lehnen manche Liberale die sittliche und vor allem die religiöse Begründung des Humanitismus ab. Die Einen trachten unsere ganze Reformation auf das Erwachen und den Kampf des nationalen Bewußtseins gegen die Deutschen zu schieben; das ist ein so seichtes und gedankenloses Beginnen, daß es keine besondere Wiederlegung verdient. Die Anderen geben zu, daß Reformatoren und Reformation, daß insbesondere Comenius den Humanitismus auf Religiosität gründeten, aber das sei nicht von den Führern der nationalen Wiedergeburt geschehen. Die urteilsfähigen unter diesen Gegnern gestehen zu, daß Palacký, vielleicht noch Kollár als religiöser Humanitist aufgefaßt werden könne, aber alle anderen führenden Männer unserer Wiedergeburt seien in dem Sinne Liberale gewesen, daß sie die Nationalität betont haben und für die in ihrer Zeit verbreiteten liberalen Grundsätze der Demokratie und der Gewissensfreiheit eingetreten seien. Die Religiosität habe in ihrem nationalen Programm keine Rolle gespielt.

Es kann nicht bezweifelt werden, daß Palacký das nationale Humanitätsprogramm religiös aufgefaßt und fundiert hat; seine ganze Geschichte und seine Geschichtsphilosophie (in der Schrift gegen Höfler) sind ein unwiderleglicher Beweis dafür. Das geben die Gegner, wie gesagt, zu (z. B. Prof. Kaizl). Nun, ich glaube, daß der einzige Palacký genügt, damit die These über die religiöse Grundlage unseres Humanitismus völlig obsiegt.

Außer Palacký läßt sich Kollär anführen, der gleichfalls an unsere Reformation angeknüpft hat. Ich habe selbst darauf aufmerksam gemacht, daß Kollárs Humanitismus nicht so tief und bewußt ist wie der Palackýs; aber trotzdem entscheidet hier die Tatsache, daß Kollár ebenso wie Palacký Protestant war und daß beide das Bewußtsein hatten, mit der Reformation kirchlich und religiös zusammenzuhängen. Ich wiederhole: ich mache zwischen Kollár und Palacký einen Unterschied; Kollár hat nicht so durchdringend wie Palacký Hus und unsere ganze Reformation erfaßt (er vergleicht Hus nicht nur mit Sokrates, sondern auch mit Seneka, allerdings auch mit König Wenzel u. a.), doch knüpft er immerhin an unsere Reformation an, wie sich unsere slowakischen Protestanten überhaupt bewußt waren, nicht nur von Luther, sondern auch von Hus abzustammen. Neben Kollár kann und muß noch Šafařík genannt werden, ebenfalls ein Slowak und Protestant, – ist es ein Zufall, daß drei Hauptführer der Wiedergeburt Protestanten waren?

Unsere Wiedergeburt entwickelte sich und setzte sich aus vielen einzelnen Richtungen und Bestrebungen zusammen; es handelt sich darum, zu bestimmen, welche die stärkste, entscheidendste war, und darum, zu begreifen, welchen Sinn unsere Wiedergeburt hat. Ich habe den Ausspruch von Denis erwähnt, daß in Dobrovský und Kollár durch Leibniz und Herder zu uns Comenius spricht – das ist der Sinn unserer Wiedergeburt. Es handelt sich darum, zu begreifen, daß das 18. und 19. Jahrhundert bei uns und in Europa überhaupt die Fortsetzung der Ideen und Sehnsüchte der Reformation sind. Man muß sich klar sein, was in der Geschichte führende Ideen sind, wie die Ideen sich entwickeln und wie sie trotz allen Wandlungen der Einzelheiten im Wesen dieselben bleiben. Ich will ein Beispiel für diese Philosophie der Ideen anführen. Palacký war Kantianer, und Kant ist, wie man allgemein und richtig sagt, der Philosoph des Protestantismus; das bedeutet nicht, daß Kant Luthers Katechismus vorträgt (er lehnt ja alle Theologie usw. ab), aber das bedeutet, daß er den protestantischen Individualismus und Subjektivismus akzeptiert, in der Religion den Nachdruck auf die Sittlichkeit legt, den Autoritätsglauben zurückweist, kurzum, daß er die führenden Ideen des Protestantismus in ein philosophisches, wenn auch dem orthodoxen Protestantismus zuwiderlaufendes System umgebildet hat. Auf ähnliche Weise schuf Palacký als tschechischer Protestant die Bruderkirche in sein Humanitätssystem um, indem er gleichfalls die Orthodoxie Luthers ablehnte und sich, wie er uns sagt, an Bruder Lukas hielt. In diesem Sinne konnte Marx sagen: die Führer der französischen Revolution setzen die Ideen Luthers und Calvins fort. Es ist unglaublich, wie manche Historiker bei uns soziologisch und philosophisch nicht genügend gebildet sind.

Der philosophische Papst Leo XIII. kann unseren liberalen Historikern eine gute Lehre erteilen. Wie bekannt, hat dieser Erneuerer des Thomismus die Reformation verurteilt und dadurch damals Widerspruch erregt. In seiner Enzyklika »Diu Lumen illud« (1881) legt Leo XIII. dar, daß die Reformation die Mutter nicht nur der modernen Philosophie, sondern auch der modernen Politik und vor allem der Demokratie sei; er leitet von der Reformation nicht allein die moderne Rechtsauffassung und den Sozialismus ab, sondern auch den Nihilismus und den Kommunismus. Leo XIII. eifert auch in späteren Enunziationen gegen die Reformation (»die lutheranische Rebellion«) und verurteilt die gemischten Schulen, indem er rein konfessionelle Schulen fordert usw.

Ich brauche nicht auf Übertreibungen hinzuweisen wie z. B. die Gleichstellung des Nihilismus dem Sozialismus, aber in der Hauptsache hatte Leo XIII. recht, daß nämlich mit der Reformation und durch die Reformation die moderne Welt- und Lebensanschauung, der neue Staat und die moderne Demokratie und Politik entstanden. Wir sind aber in der Schätzung der modernen Zeit, ihrer Ideale, Sehnsüchte und Institutionen nicht einer Meinung mit dem Oberhaupt der römischen Kirche.

In diesem Sinne folgt aber auch unsere Wiedergeburt und die moderne Zeit der Richtung unserer Reformation; in diesem Sinne knüpften unsere Wiedererwecker dort an, wo unsere Geschichte ihren Gipfel erreicht (wie Palacký), die einen bewußter und klarer, als die anderen. Aber alle unsere hervorragenden Menschen und gar die geistigen Führer waren in religiösen Dingen nicht so indifferent, wie die erwähnten Liberalen es verkünden. Gleich Dobrovský: er war Freimaurer und daher bewußt gegen seine Kirche, nicht aber gegen die Religion. Über Kollár, Šafařik und Palacký sind wir schon einig; Havlíček war ein Liberaler, aber nicht religiös gleichgültig. Und unsere Dichter? Sofort der erste und größte, Mácha, war ein durch und durch religiöser, wenn auch durch Skepsis vielspältiger Mensch; das religiöse Problem war ihm ein Lebensproblem. Neruda empfindet tief religiös, wie jedermann aus seinen »Freitagsgesängen« herausfühlen muß; Světlá und noch tiefer Nováková suchen die Spuren unserer Reformation im Volke. Und die Zeitgenossen – wie sittlich und religiös analysieren Holeček, Čapek-Chod ihre Charaktere! Šalda predigt gar die Rückkehr zu Gott. Wenn Svatopluk Čech und Vrchlický Liberale waren, so beweist es nicht, daß unsere Literatur das religiöse Problem nicht wirklich durchlebt hat; Čech betete zu einem Unbekannten, und Vrchlický litt sein Leben lang am faustischen Problem.

Unser tschechischer Liberaler ist in der Regel der Matrikel nach Katholik und in religiösen Fragen ein Analphabet: er kann sich die Religion außerhalb seiner Kirche, ihres Kults und ihrer Lehre nicht vorstellen, und daher versteht er Palacký nicht und nicht unsere größten Schriftsteller, wenn er ihren Namen auch immer im Munde führt. Und er versteht nicht unsere Geschichte, auch wenn er Geschichtschreiber ist.

135.

Grundsätzliche Gegner Palackýs, ernste und konsequente Gegner, sind die katholischen Geschichtschreiber und Politiker; sie werten unsere Reformation von ihrem religiösen Standpunkt aus. Ihnen galt und gilt die Reformation in religiöser und politischer Hinsicht als verfehlt: die habsburgische Katholisierung der Nation war nach ihrer Ansicht die geistige und nationale Rettung – Brudertum und Protestantismus hätten uns germanisiert: der Weiße Berg sei unser Glück gewesen.

Die katholischen Geschichtschreiber und Politiker in Deutschland, England und anderswo blicken objektiver auf unsere Reformation, ihre Entstehung und Bedeutung; sie erkennen wenigstens die relative und vorübergehende Berechtigung des Protestantismus an, geben die Mängel und Fehler ihrer Kirche am Ende des Mittelalters und die Notwendigkeit einer Reform zu. Wenn der Lauf der Geschichte von der Vorsehung gelenkt wird, wenn es in der Geschichte eine Ordnung und einen Plan gibt – wie ist es dann möglich, die Entstehung der Reformation und des Protestantismus so im Pauschal zu verurteilen, ohne zu bedenken, was eine so große, ungeheuere und dauernde Bewegung in der großen Welt und gerade für den Katholiken bedeutet? Gerade vom theistischen Standpunkt aus ist die Geschichtsphilosophie unserer katholischen Gegner Palackýs unmöglich: wäre die Reformation entstanden, wenn die Kirche den Völkern genügt hätte? Und ging die Reformationsbewegung nicht aus der Kirche selbst hervor? Die besten Katholiken haben seit jeher die Unzulänglichkeiten ihrer Kirche kritisiert, – ihre ganze Literatur darüber seit Beginn des Katholizismus bis zur Reformation ließe sich gar nicht in einer Bibliothek unterbringen; sobald jedoch die Reformbestrebungen sich außerhalb der Kirche stellten und gar neue Kirchen entstanden, wurde die alte Kirche zur Partei und die Erhaltung der Macht wird, ob nun durch Gewalt oder Kompromiss, zum Hauptgegenstand ihrer Politik. Daher die Kompaktate mit uns, daher die Inquisition, daher der Jesuitismus – und Inquisition und Jesuitismus haben auch bei uns die Katholisierung durchgeführt. War die Kirche unzulänglich, so behaupte ich nicht, daß die Reformation in allem und überall genügte. Gewiß brach auch im Protestantismus sehr bald an Stelle geistiger Ämulation der Parteikampf aus; bald erhoben sich gegen die alte Theokratie neue Theokratien, die auch die Macht zu erringen suchten. Kirchen, die die Religion der Liebe verkündeten, griffen zur Gewalt und ließen sich von weltlichen Mächten bereitwillig mißbrauchen.

Unsere katholischen Gegner der tschechischen Reformation könnten sich für ihre Ansicht, die Katholisierung habe die Nation dadurch gerettet, daß sie sie von Deutschland und Preußen schied, auf Bismarck berufen. Der eiserne Kanzler soll einmal die ganze Nacht mit Gedanken darüber durchgewacht haben, welchen Lauf die Geschichte genommen hätte, wenn am Weißen Berge die Protestanten Sieger gewesen wären. Bismarck dachte möglicherweise darüber nach, ob ein protestantisches Böhmen sich der protestantischen Politik Preußens gegen Österreich angeschlossen hätte; Österreich wäre eine unbedeutende Mark geblieben, von Böhmen aus und mit Hilfe Böhmens hätten die Deutschen die Donau beherrscht, also mit tschechischer Hilfe – Berlin – Bagdad. Wir wissen, wie Bismarck die geographische Lage Böhmens für die Beherrschung Europas eingeschätzt hat.

Ich bin kein Freund der »Wenn«-Geschichte; ich will Tatsachen angeben. Unsere Reformation hat unsere Nationalität in nie dagewesener Weise befestigt: die Germanisierung geschah während der Herrschaft des Katholizismus, der Hussitismus war die Rettung vor ihr. Das bezeugen gerade wieder deutsche Geschichtschreiber, daß nämlich die Reformation nicht nur bei uns, sondern auch in Polen sehr mächtig in antideutscher Richtung wirkte. Sie kräftigte überall und auch bei uns die nationale Sprache und Literatur dadurch, daß der Gottesdienst in der Landessprache abgehalten wurde, und der Gottesdienst, insbesondere das Lesen der Bibel, hatte damals eine viel größere Bedeutung für die ganze Literatur und die nationale Erziehung als heute. Die Reformation, die eine Besserung der Sittlichkeit anstrebte, stärkte unseren nationalen Charakter; gerade weil sie religiös war, war sie auch national. Eine siegreiche Schlacht am Weißen Berge hätte daher – trotz einem gewissen anfänglichen Eindringen des deutschen Elementes bei uns in der Zeit des Protestantismus – eine weitere Stärkung und Erneuerung der Nation bedeuten können. Und wenn im Weltkrieg gerade das protestantische Preußen – der Pangermanismus – vom protestantischen England und Amerika und vom revolutionären Frankreich geschlagen wurde – wo steht geschrieben, daß die evangelischen Tschechen sich untätig von Preußen hätten führen lassen? Der einzige Comenius, der Vollender und die Blüte der Brüderschaft, ist ein Gegenbeweis, aber auch die ganze Tätigkeit und Literatur der Exulanten ist es; die Hussiten, Brüder und evangelischen Tschechen waren zwar in regem Verkehr mit den Deutschen, von denen die Exulanten freundlich aufgenommen wurden, doch auch mit den Holländern, Schweizern, Engländern, Schweden, und überall arbeiteten sie für die Befreiung ihres Vaterlandes. Comenius trieb zur Verteidigung seines Volkes eine wahre Welt- und allerdings Kulturpolitik. Aber die katholischen Habsburger katholisierten uns nach der Schlacht am Weißen Berge, wie schon vorher, nicht nur, sondern germanisierten uns auch, und zwar mit Feuer und Schwert, durch Konfiskationen und Unterdrückung der Bildung; die katholischen Gegner des »Erzketzers« Hus lenkten auf das tschechische Volk den allgemeinen Haß als auf das Volk der Ketzer. Und dieses katholische und ultrakatholische Österreich unterlag politisch dem protestantischen Preußen und wurde zu seiner gehorsamen Avantgarde an der Donau.

Es würde zu weit führen, wollte ich genauer untersuchen, in welchem Grade in der Entwicklung des preußischen Deutschland das Preußentum und in welchem der Protestantismus entschied; sicherlich ist die lutherische Kirche eine Dienerin des preußischen Staates geworden. Aber Deutschland war halb katholisch, – man weiß nichts davon, daß z. B. das Zentrum, obgleich es sich gegen Bismarck in Opposition befand, gegen die nichtdeutschen Katholiken eine wesentlich andere Politik ausgeübt hätte. Und spricht man vom deutschen Protestantismus und seiner Nationalitätspolitik, so muß man gewiß seinen Gründer Luther betrachten. Luther war gegen die Tschechen, solange er Katholik war; nachdem er sich von der Kirche getrennt hatte, trat er stets für eine sachliche und gerechte Beurteilung der tschechischen Nation ein, predigte den nationalen Frieden, rühmte die sittliche Reinheit der Brüdergemeinschaft und hielt sie den Deutschen als Vorbild hin, indem er sich und seine Anhänger für Hussiten erklärte. Nach Luther sprachen führende deutsche Denker ihre Sympathien für die tschechische Nation aus und verurteilten die habsburgischen Henker; ich erwähne Leibniz, Herder und Goethe. Besonders Herder nahm die Anschauungen des Comenius auf und wünschte die Erneuerung der tschechischen Selbständigkeit. Deutsche Dichter fanden Gefallen an Stoffen aus unserer Geschichte, Schiller, Lenau, und Schriftsteller aus Böhmen, Alfred Meißner, Moritz Hartmann u. a.

Das Argument vom nationalen Vorteil der Schlacht am Weißen Berge ist verfehlt. Schon deshalb verfehlt, weil es die religiöse Frage zur nationalen Frage verschiebt; das ist eine Kaptivierung des patriotischen Wohlwollens. Die katholischen Geschichtschreiber folgen darin gewissermaßen dem Beispiel jener unserer Historiker, die in der Reformation nur die Stärkung des nationalen Bewußtseins zu schätzen wissen. Die einen wie die anderen erfassen nicht das Wesen der Religiosität und begreifen nicht den Sinn unserer und der Geschichte überhaupt.

Die unvoreingenommene Geschichte unserer religiösen Entwicklung wird uns das Verhältnis zwischen Katholizismus und Reformation (Protestantismus) in anderem Lichte zeigen, als die Gegner Palackýs. Die Tatsache nämlich, daß die Reform bei uns so tief drang, daß die riesige Mehrheit der Nation sie annahm (angeblich neun Zehntel) und daß sich die Reformation bei dem großen Druck und Widerstand Roms, der Habsburger und ihrer deutschen Anhänger (Bayern usw.) so lange hielt (der letzte religiöse Bauernaufstand in Mähren geschah i. J. 1775), daß also das bewußte Ringen und die Kämpfe um Religion und Sittlichkeit vier Jahrhunderte lang den Hauptinhalt unserer Geschichte bildeten, – diese Tatsache beweist, daß unsere Reformation aus dem Nationalcharakter entsprang und ihm entsprach. Aber man muß zugeben, daß unsere Geschichtschreiber auch zu untersuchen haben, bis zu welchem Grade der Katholizismus vor der Reform und während ihrer (eine Minderheit der Nation war katholisch geblieben) national war. Ich will nicht auf die Einflüsse von Byzanz im 8. und 9. Jahrhundert hinweisen, als hätte es bei uns einen Kampf zwischen Katholizismus und Rechtgläubigkeit gegeben; ich habe meine Ansicht darüber schon vor Jahren dargelegt; andererseits kann in Betracht gezogen werden, ob es dem Katholizismus bei uns nicht geschadet hat, daß er nicht national genug war, da er aus der Fremde zu uns gekommen, aus Deutschland, zum Teil aus Italien und anderswoher. Was den Katholizismus nach der Schlacht am Weißen Berge betrifft, so konnte er nicht tiefe Wurzeln schlagen, denn er war gewaltsam und seine Führer auch im nationalen Sinne Fremde; das gilt vor allem von den Jesuiten (die auch heute fremd sind) und der Hierarchie, die bis auf geringe Ausnahmen habsburgisch und deutsch blieben, nicht tschechisch.

Ich weiß sehr gut, daß der Katholizismus international ist; aber trotz seiner zentralisierenden Tendenz hat der Katholizismus in Frankreich, England, Deutschland, Italien und anderswo seinen besonderen nationalen Zug, den der Kenner in der Theologie und im kirchlichen Leben bemerkt. Bei uns fühlt die niedere Geistlichkeit, die in der Regel aus dem Volke stammt, mit dem Volke und ist national bewußt; die Repräsentanten dieser Geistlichkeit beteiligten sich auch fleißig an der literarischen Arbeit der Wiedererweckung. Allein die Hierarchie, die im Katholizismus die Richtung der Kirchenpolitik und überhaupt das kirchliche Leben bestimmt, war bis auf wenige Ausnahmen nicht tschechisch und die Priesterbildung war es nicht; es ist auffällig, daß der Katholizismus bei uns noch keine tschechische Theologie hervorgebracht hat. Überhaupt hat der Katholizismus bei uns keine solche Selbständigkeit und Eigenart wie in anderen Ländern.

Das Problem, um das es sich hier handelt, muß besser durchforscht werden. Die Deutschen z. B. sind zur Hälfte Protestanten, zur Hälfte Katholiken; die Engländer sind Anglikaner, aber auch radikale Protestanten, die Franzosen haben gleichfalls eine wichtige protestantische Minderheit; ich erwähne die gebildetsten und in der Geschichte der Menschheit sehr bedeutungsvollen Nationen zum Beweis, daß die Nationalität die religiöse und kirchliche Verschiedenheit nicht ausschließt und daß die Verschiedenheit für die Nationen und die Menschheit kulturell wertvoll war. Dagegen haben die Nationen, die die Reformation nicht durchgemacht und sich religiös nicht differenziert haben, vorläufig geringere Bedeutung in der Geschichte, als die anderen. Wir gehören zu diesen; unsere Geschichte, und namentlich die seit dem 14. Jahrhundert, ist gewiß eine der lebendigsten und geistig wertvollsten. Das Problem, in welchem Maße diese oder jene Religion und Kirche dem Nationalcharakter entspricht, muß, ich wiederhole es, tiefer aufgefaßt und analysiert werden.

136.

Unsere Reformkirchen – die hussitische und die Brüderkirche – sind bis auf kleine Reste vernichtet worden; die Habsburger vollzogen die Katholisierung mit Zustimmung und Hilfe der Kirche mit Feuer und Schwert, durch Konfiskationen und Vertreibung; was bedeutet die habsburgische Gegenreformation für uns heute?

Es gibt kein anderes Beispiel dafür, daß eine christliche Nation (die ganze Nation resp. die entscheidende Mehrheit) so ihre Religion geändert hat. Die Franzosen unterdrückten gleichfalls die Reformation gewaltsam, aber bei ihnen war von der Reformbewegung nur eine Minderheit erfaßt worden; ähnlich unterdrückten Italien und Spanien die Reformation, die sich auch dort auf eine Minderheit beschränkt hatte. Überall wurde die Gegenreformation von der eigenen Nation durchgeführt, bei uns dagegen von einer fremden Dynastie, einem fremden, unserer Nation und unseren geistigen Traditionen feindlichen Regime. Jeder bewußte und gebildete Tscheche wird daher durch die Kenntnis der Geschichte auf die Frage gebracht: Wenn unsere Reformation, namentlich die Brüderkirche, nach Palacký der Gipfel unserer Geschichte ist, was bedeutet dann die gewaltsame Katholisierung der Nation, also die Rückkehr zur älteren religiösen und kirchlichen Form? Die verhältnismäßig rasche Rückkehr? Läßt sie sich nur durch die Gewalt erklären oder lag der Fehler auch in der Reformation selbst? Und welcher Fehler? Äußert sich in der habsburgischen Katholisierung auch ein Mangel des Nationalcharakters, der Ausdauer, der Festigkeit? Mangel an politischer Fähigkeit? Welche Bedeutung kommt unserem Protestantismus zu, in dem sich gemäß dem Toleranzpatent Josefs unter der Form des Luthertums und des Calvinismus der Hussitismus und das Brüdertum erhalten hat, also die nach Palacký vollendete Kirche? Ist Palackýs Philosophie unserer Geschichte richtig (ich glaube, daß sie es im Wesen ist), so hat der Gegensatz zwischen Kirche und Bildung bei uns nicht nur eine philosophische und religiöse Bedeutung, wie bei anderen Nationen, sondern darüber hinaus noch die besondere nationale: daß nämlich unsere Reformationskirche von einer fremden Dynastie mit Zustimmung der katholischen Kirche unterdrückt wurde. Zwischen der Gegenwart und der Reformationszeit gähnt der Abgrund der habsburgischen Gegenreformation.

Seit dem Anbeginn unserer Wiedergeburt lebte die Erinnerung an unsere Reformation auf und wirkte in freigeistigem Sinne; Hus, Žižka, Comenius, später Chelčický, wurden allgemein teuere Namen. Der tschechische Geschichtschreiber kann dem Problem unserer Katholisierung nicht ausweichen. Palacký erblickt in der Spaltung der Kirche in Katholizismus und Protestantismus eine historische theologische Entwicklung, weil sowohl der Katholizismus als auch der Protestantismus den Bedürfnissen des menschlichen Geistes entspreche: der Katholizismus dem Grundsatz der Autorität, der Protestantismus dem Verstande. Der Unterschied sei nicht absolut, sondern relativ und werde sich weiter entwickeln; Palacký meint, daß das Heil nicht darin liege, daß das eine oder das andere Prinzip sich durchsetze, sondern in ihrer Verbindung, Harmonie und wechselseitigen Durchdringung. Die beiden Kirchen sollten sich demnach nicht bekämpfen, sondern sich um so mehr vertragen, als in der Zukunft gegen beide sich der Unglaube erheben werde.

Ich denke nicht, daß diese Auslegung Palackýs für die zeitgenössische religiöse Situation genügt; sie ist selbst für das Verständnis des Verhältnisses zwischen Katholizismus und Protestantismus zu abstrakt und allgemein; es handelt sich weiter um das besondere Verhältnis zwischen Katholizismus und Protestantismus bei uns und dabei um die Beurteilung der habsburgischen Gegenreformation und ihre religiösen und sittlichen Werte. Diese Formulierung Palackýs kommt auch nicht gegen die Einwände auf, die gerade von liberaler Seite gegen Palacký gerichtet wurden. Doch in unserem Liberalismus gab es stets eine Strömung, die für die religiöse Seite unserer Wiedergeburt Verständnis hatte. Nur blieb ihr das Wesen der Reformation und der Religiosität unklar. Bis zu welchem Grade, das sehen wir anschaulich an Sladkovský; dieser politische Führer der jungtschechischen freisinnigen Partei trat zur Rechtgläubigkeit über und erwartete, seine Parteigänger und alle, die Gegner der Kirche waren, würden ihm folgen.

Gegen den Liberalismus, soweit er in religiösen Fragen indifferent war, habe ich mich kritisch gestellt; ich zeigte und bewies, daß die Religiosität nicht überwunden sei und daß wir am Ende der Beurteilung und Wertung der einzelnen Kirchen nicht entgehen. Ich lehnte das Kokettieren mit der Rechtgläubigkeit ab und forderte auf, die religiöse Frage ernst zu studieren und ihre Lösung vorzubereiten. So entstand der Streit über den Sinn unserer Wiedergeburt, über die Reformation und die habsburgische Gegenreformation und die religiöse Frage überhaupt.

Wenn jetzt nach erlangter religiöser Freiheit Hunderttausende aus der Kirche austreten und eine an die Reformation anknüpfende Kirche ins Leben rufen, wird die religiöse Frage praktisch und zwingt die denkenden Köpfe zur Revision des liberalistischen Standpunktes zur Religion. Es gibt zwar bisher Verfechter des religiösen Indifferentismus, die behaupten, die Religion sei überwunden und der Streit um Katholizismus und Protestantismus habe daher keine Wichtigkeit, doch das ist ein Irrtum und eine Oberflächlichkeit, die dem Liberalismus überall verhängnisvoll werden.

Manche verlangen im Namen des Fortschrittes, an die religiöse Frage nicht zu rühren; wir können, heißt es, nicht zum Mittelalter zurückkehren; das ist ein sehr unklarer und nicht fortschrittlicher Standpunkt. Die religiöse Frage bedeutet heute nirgends die einfache Annahme der alten kirchlichen Formen; die religiöse Krise besteht im Katholizismus und auch im Protestantismus: die Überbrückung des Abgrundes der habsburgischen Gegenreformation und die Anknüpfung an unsere nationale Reformation bedeutet, ihre Richtung gemäß den geistigen Bedürfnissen unserer Zeit fortzusetzen. Der moderne tschechische Mensch glaube nicht wie Hus, und Hus sei Rom näher gewesen als uns; es ist wahr, daß der moderne tschechische Mensch nicht mehr glaubt, wie und was Hus geglaubt hat, aber glaubt er so wie Rom? Gewiß, wir glauben nicht wie Hus, aber er und seine Anhänger sind uns Vorbilder sittlicher Entschlossenheit, Festigkeit und religiöser Wahrhaftigkeit. Hus begann den Kampf gegen die Weltlichkeit der Kirche, und die Nation ging mit ihm; sein Kampf um die höhere Sittlichkeit und Frömmigkeit, besiegelt durch das Opfer seines Lebens, war ein Kampf gegen die sittliche Dekadenz der Kirche, des Priester- und Papsttums. Žižka vermochte Hussens Kampf um die Lebensgrundsätze durch die Abwehr mit dem Schwerte zu ergänzen, als Rom unserer Nation im Namen des Kreuzes den Krieg Europas erklärte. Chelčický erkannte, daß der Kampf gegen die damalige weltliche Herrschaft der Priester folgerichtig zum Kampfe gegen den sich auf die Kirche stützenden Staat, gegen die kirchliche und zugleich politische Gewalt führte, und ergab sich dem Kampfe der Humanität gegen die Gewalt mit wahrhaft žižkahafter Energie; Chelčický schoß übers Ziel, aber dadurch fällt nicht seine große Idee. Comenius, der letzte Bischof der böhmischen Brüdergemeinschaft, machte uns klar, daß eine durchdringende religiöse und sittliche Reform nicht ohne das Licht der Bildung und ohne sorgfältige Erziehung sein kann. Hus und Žižka sind uns Vorbilder, daß das Leben ohne Wahrheit und ohne eine Überzeugung, die das ganze Leben lenkt, wertlos sind. Chelčický und das Brüdertum lehren, daß ein Leben, das auf Gewalt, staatlicher und kirchlicher Gewalt, beruht, schlecht ist; Comenius wies uns den Weg zur Erlauchtheit allumfassender Weisheit und Menschlichkeit: im Geiste dieser nationalen Lehrmeister müssen wir fortfahren und ihr Licht den kommenden Geschlechtern weiterreichen ... λαμπαδαπεϱιδιδοντες Hus – Žižka – Chelčický – Comenius: welchen Namen vermag die habsburgische Gegenreformation diesen der ganzen Nation teueren, von ihr und allen Nationen anerkannten Namen gegenüberzustellen? Gegen eine große Idee steht nur nackte Gewalt.

Unsere Reformation war eine Revolution gegen die Theokratie, für die Demokratie, Das Verhältnis der Religion zur Politik und zum praktischen Leben überhaupt fasse ich gemäß dem Gebote auf, daß wir zunächst Gottes Reich und seine Gerechtigkeit suchen sollen, und alles, wessen wir bedürfen, wird uns zugeteilt, – ein Mensch und eine Nation mit religiöser Überzeugung, eine Nation mit dem festen Willen, ihre Ideale zu verwirklichen, wird ihr Ziel stets erreichen. Das ist meine Lebenserfahrung; diese Lehre habe ich aus der Geschichte unserer und aller Nationen gezogen.

Daß unsere Reformation als erster Versuch nicht ohne Fehler war, ist kein Beweis gegen die Grundsätze und das Wesen dieser unserer nationalen Bewegung; wenn ich den 28. Oktober 1918 betrachte, so lehne ich die Ansicht ab, daß unsere Reformation darum, weil sie durch Gewalt niedergerungen wurde, überhaupt verfehlt war und daß sich in ihr unsere politische Passivität und Unstaatlichkeit offenbart haben.

Die Lösung der allgemeinen religiösen Krise ist eine Aufgabe unser aller, unserer Denker, unserer Kirchen; soweit es sich um den Staat handelt, muß unsere Republik allen Bürgern die vollkommene Gewissensfreiheit verbürgen, damit sie alle ihre Konflikte frei und nach eigener Überzeugung austragen können; überdies muß die Republik, zum Unterschied von Österreich, die Trennung von Staat und Kirche und die damit verbundenen Reformen, vor allem die Schulreform, durchführen.

Damit dieser Prozeß ohne sogenannten Kulturkampf vor sich gehe, habe ich noch während des Krieges bestimmt, daß unsere Republik sofort eine diplomatische Vertretung beim Vatikan errichte. Ich habe das schon erwähnt, für die Trennung von Staat und Kirche auf das amerikanische Vorbild verwiesen und mitgeteilt, daß Štefánik die Verbindung mit dem Vatikan aufrecht erhielt. Ich habe vorausgesehen, daß die religiöse und kirchliche Frage nach dem Kriege überall und vor allem bei uns akut werden wird.

Durch die Trennung von Staat und Kirche sollen Kirchen und Religionen vom Staate unabhängig werden und der Staat unabhängig von den Kirchen. Die Religion soll Sache der freien Überzeugung sein. In österreichischer Zeit verließ die Kirche sich auf die Polizeimacht des Staates, die offizielle Religion war den Beamten usw. vorgeschrieben; dadurch litt die Kirche, verließ sich auf die Polizei mehr, als auf ihre Lehre und das religiöse Leben. In ähnlicher Weise litt der Staat, indem er sich auf die Kirche verließ, nicht auf sich selbst und seinen Wert. Das Schlagwort »entösterreichern« bedeutet in erster Reihe die Trennung von Staat und Kirche.

Die historische Erfahrung lehrt uns, daß alle Kirchen, namentlich die katholische, die Trennung vom Staate nicht bereitwillig aufgenommen haben; wenn sich auch die Trennung in religiöser Hinsicht bewährt, wenn sie auch schon in vielen Ländern anerkannt wurde, so müssen wir doch auf Widerstand vorbereitet sein. Ihre Durchführung wird ziemlich viel diplomatischen Takt erfordern, aber vor allem die Bestimmtheit des Kulturprogramms.

137.

Die Trennung von Staat und Kirche wird nicht bloß durch die Rücksichten auf unsere religiöse Entwicklung, sondern auch durch die kirchlichen Verhältnisse in der Republik empfohlen. Ich habe erwarten müssen, daß infolge der Vereinigung mit der Slowakei und des Anschlusses Karpathorußlands an unsere Republik die kirchlichen und religiösen Verhältnisse auch in unserem Volke verwickelter werden; und ich habe vorausgesehen, daß durch die politische Freiheit, wie es in anderen Ländern stets geschehen ist, die kirchliche und religiöse Frage verschärft werden wird, und habe gerade deshalb diesen Prozeß auf das rein kirchliche und religiöse Gebiet beschränken wollen.

Wir haben bereits eine neue tschechoslowakische Kirche, und auch die Rechtgläubigkeit breitet sich aus; die Zahl der Protestanten ist durch bedeutende Teile der Slowaken (Augsburger Konfession) gestiegen, ebenso die der Juden, und dazu kamen die Uniaten in Karpathorußland. Unsere Republik ist demnach nicht nur aus mehreren Nationalitäten zusammengesetzt, sondern umfaßt auch eine größere Anzahl von Kirchen und Konfessionen. Wir haben die katholische mit der uniatischen, die tschechoslowakische, die protestantische, die rechtgläubige, die unitarische und die jüdische Konfession; dazu eine große Anzahl von Konfessionslosen, eigentlich und besser gesagt: Menschen ohne Zugehörigkeit zu einer Kirche, weil viele von ihnen ihr privates Religionsbekenntnis haben. Bei der Jagd der politischen Minute werden sich wenige unserer Leute bewußt, wie unsere Republik kirchlich kompliziert ist und wie durchdringend die religiöse Krise sich in unserem Kirchenleben äußert.

In Österreich-Ungarn war auf dem Gebiete unserer Republik die katholische Kirche herrschend; die einheimischen Protestanten, die Reformierten (Calvinisten) und die Lutheraner (Augsburger Konfession) in den sogenannten historischen Ländern waren zwar vom Staate anerkannt, erfreuten sich aber nicht der offiziellen Gunst; einige fremde Missionen (die Baptisten u. ä.) wurden halb und halb toleriert. In der Slowakei wurde selbst die slowakische Minderheit der Protestanten (Lutheraner, ein paar Reformierter) national ebenso unterdrückt wie die katholische Mehrheit. In Karpathorußland die Uniaten gleichfalls magyarisiert, die rechtgläubige Bewegung unterdrückt (der bekannte Prozeß von Marmaros!). Die Juden errangen sich die Gunst der ungarischen und der Wiener Regierung.

Bei der herrschenden Kirchenfreiheit haben sich heute die Verhältnisse gewandelt, namentlich in den historischen Ländern, – wer nicht geglaubt hat, daß die religiöse Frage unserer Nation eine sehr wichtige Frage sei, muß sein Urteil ändern.

Vergleichen wir die Ziffern der offiziellen Zählungen in den Jahren 1910 und 1921 (wir haben keine genaueren Ziffern darüber, wie sich die Kirchenverhältnisse in den einzelnen Jahren geändert haben), so sehen wir, daß während des Bestandes der Republik die tschechoslowakische Kirche mit 525 333 Mitgliedern gegründet wurde, die bis auf wenige Ausnahmen aus der katholischen Kirche übergetreten sind; ihre Zahl ist Nachrichten zufolge heute viel größer. Zugleich sind aus der katholischen Kirche (aus den anderen Kirchen nur wenige) 724 507 Mitglieder ausgetreten, die ohne Kirchenbekenntnis geblieben sind. In österreichischer Zeit gab es im Jahre 1910 in den historischen Ländern nur 12 981 Konfessionslose; auf die Slowakei entfallen jetzt 6818 von der angegebenen Zahl, auf Karpathorußland 1174.

Die katholische (uniatische) Kirche in Karpathorußland hat auch Mitglieder verloren; dort wurden 1910 (unter ungarischem Regime) 558 Rechtgläubige, im Jahre 1921 bereits 60 986 gezählt.

Neben der starken Zunahme der tschechoslowakischen und der rechtgläubigen Kirche kann man auch ein starkes Anwachsen aller protestantischen Kirchen feststellen, und zwar in der tschechischen Bevölkerung, während die Zunahme bei den Deutschen normal blieb. Im Jahre 1910 gab es in den historischen Ländern 157 067 reformierte und lutherische Tschechen (153 612 Deutsche), im Jahre 1921 231 199 Tschechen (153 767 Deutsche). Unsere Protestanten haben sich also sehr vermehrt.

Analog haben auch die kleineren Kirchen mehr als normal zugenommen, vor allem die Brüdergemeinschaft (3933: 1022); von Freireformierten gab es 1921 5511 – 1910: 2497; Baptisten 9360 – 1910 4272; Methodisten gibt es jetzt 1455.

Alle Protestanten in der Republik zusammengenommen, Zählen beinahe eine Million (990 319).

Neu hinzugekommen sind in letzter Zeit die Unitarier (man gibt ihre Zahl mit 10 000 an).

Die Rechtgläubigen nahmen auch in den historischen Ländern bedeutender zu (1054: 9082), ebenso in der Slowakei (1439 zu 2877).

Die armenische rechtgläubige Kirche stellt einen unscheinbaren Bruchteil dar (152 gegen 9 im Jahre 1910 im ganzen Gebiete der Republik).

Die Altkatholiken (größtenteils deutscher Nationalität) weisen gleichfalls eine stärkere Zunahme auf (17 121: 20 255).

Die Juden zählen nach der Vereinigung mit der Slowakei und Karpathorußland 354 342; die Gesamtzahl ist gegen 1910 (361 650) geringer. Detailliertere Zahlen: Böhmen: 79 777 – Mähren 37 989 – Schlesien 7317 – Slowakei 135 918 – Karpathorußland 87 041.

Neben der religiösen Bewegung in den Kirchen gibt es überall ein starkes spiritistisches Treiben; man schätzt die Zahl der Spiritisten auf Hunderttausende (2-3). Auch die Theosophie und andere ähnliche Exotika machen sich bemerkbar.

Diese kirchlichen Verhältnisse in unserer Republik und vor allem die religiöse Bewegung werden durch die Kraft der hussitischen Tradition und das religiöse Anknüpfen an die Reformation gekennzeichnet. Der Bewegung bei uns entspricht in Karpathorußland die analoge rechtgläubige Bewegung.

Alle protestantischen Kirchen knüpfen an die Reformation an; die tschechischen Reformierten und die Lutheraner vereinigten sich zur evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder; die freireformierte Kirche ist jetzt die Vereinigung der Böhmischen Brüder, die Baptisten die Brüdervereinigung Chelčickýs; die tschechoslowakische Kirche ist eine hussitische Kirche und auch die Unitarier knüpfen an das Brüdertum an.

Unsere religiöse Bewegung ruft im Auslande Aufmerksamkeit hervor, die um so größer ist, als der Katholizismus fast überall an Boden oder wenigstens an Autorität gewinnt, während bei uns die Reformationstradition stärker wird. Auch das Ausland beginnt zu verstehen, daß die tschechische Frage nicht nur von politischer Bedeutung war.

Es ist natürlich, daß die neuen und erneuerten Kirchen den Verkehr mit den ausländischen, ihnen nahen Kirchen suchen werden. Die tschechoslowakische Kirche ist der anglikanischen und altkatholischen nahe; man weist auch auf eine gewisse Verwandtschaft mit den polnischen Mariawiten und in gewisser Beziehung mit der rechtgläubigen Kirche hin. Die rechtgläubige Bewegung sucht Beziehungen zur serbischen und konstantinopler Kirche; allerdings haben wir auch die rechtgläubige Nachbarschaft Rumäniens und Rußlands. Verschiedene protestantische Kirchen stehen im Verkehr mit ihren Kirchen im Westen. Überhaupt nimmt die kirchliche Bewegung eine internationale und damit auch politische Bedeutung an.

Auch die Juden zeigen ein bedeutendes religiöses Leben; wir haben die orthodox-östliche Richtung in der Slowakei und in Karpathorußland neben der westlichen, liberaleren Richtung. Für die Judenfrage hat der Zionismus und die jüdische nationale Bewegung hohe Bedeutung.

Die Mannigfaltigkeit der kirchlichen Zugehörigkeit spornt zu religiöser Toleranz an, ähnlich wie die nationale Mannigfaltigkeit zu nationaler Toleranz führt.

Die Regel der Toleranz hat auch in der Reformation ihren Ursprung. Nicht daß die Reformation gleich in ihren Anfängen die Freiheit, die sie gegen die Kirche zu erlangen trachtete, verwirklicht hätte; erst durch die weitere Entwicklung und namentlich durch die Independenten in England wurden Gewissensfreiheit und Toleranz gefestigt. In der mittelalterlichen Kirche fiel der Ketzer durch die Autorität des Augustinus und des Thomas dem Tode anheim; ich brauche nicht den Vorfall Servets anzuführen, um zu zeigen, daß die mittelalterliche Barbarei in den Kirchen nicht sofort gebrochen worden ist. Die Entwicklung des Geistes der Toleranz vollzog sich nur allmählich. Erinnern wir uns, daß Locke, der große Verfechter der Toleranz, die Atheisten nicht zu dulden verstand. Erst die französische Revolution kodifizierte das Recht auf vollständige Gewissensfreiheit und verwirklichte sie auf dem religiösen, keineswegs noch auf dem politischen Gebiete.

Im alten Österreich gab es keine Gewissensfreiheit; in unserer demokratischen Republik müssen Gewissensfreiheit, Toleranz und die Anerkennung des Guten und des Besseren nicht nur kodifiziert sein, sondern auch praktisch betätigt werden, und zwar auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Das ist eine nationale Forderung, eine Forderung, die durch unsere historische Entwicklung gegeben ist.

Palackýs Philosophie unserer Geschichte wertet das böhmische Brüdertum als Gipfel: das reine Christentum, also die Lehre Jesu und sein Gebot der Liebe sind das Vermächtnis des Vaters der Nation und unserer Geschichte, – die Demokratie ist die politische Form der Menschlichkeit.

En sonuncu